Die Familie Brontë

Im April des Jahres 1820 bezieht der neue Pfarrer des kleinen Städtchens Haworth in der nordenglischen Provinz Yorkshire das Pfarrhaus am Rande der Stadt, gleich bei der Kirche. Zu diesem Zeitpunkt ist Pfarrer Patrick Brontë dreiundvierzig Jahre alt. Er ist ein typischer Bewohner der Grafschaft Yorkshire, ein Mann mit leidenschaftlichem Gemüt und rauen Sitten. Er ist ein glühender Anhänger der konservativen Partei und hat eine bewegte Jugend hinter sich.

In seiner Jugend nahm er an Übungen für eine Bürgerwehr teil, die sich im Falle eines französischen Angriffes den Truppen Napoleons in den Weg geworfen hätte. Selbst als Pfarrer hatte er eine Vorliebe für Waffen und war oft bemüht, neuartige Feuerwaffen zu entwerfen und zu bauen. Im Gegensatz dazu zeigte Patrick eigene dichterische Ambitionen, er veröffentlichte eigene Gedichte und die beiden sehr uninteressanten Romane The Cottage in the Wood (1815) und The maid of Killanary (1816), jedoch ohne großen Erfolg. Außerdem besaß er Offenheit für die verschiedenen Schriftsteller seiner Zeit: In seinem Studierzimmer standen religiöse Schriften feierlich vereint mit den Skandal-Schriftstellern seiner Zeit, wie Byron und Swift.

Die Biographin Charlottes, Elisbeth Gaskell, berichtet von ihm, er hätte in seinen Wutanfällen unter anderem die Hausschuhe seiner Kinder verbrannt oder auch das Seidenkleid seiner Frau zerschnitten. Zu diesen Vorwürfen sagte er selber nur: "Sie [Elisabeth Gaskell] ist Romanschriftstellerin, wir wollen ihr ein wenig Ausschmückung zugestehen."

Ebenfalls als Beweis für seine Strenge wurde angeführt, dass er seinen Töchtern verboten habe, gebauschte Röcke zu tragen. Dies ist jedoch schlicht und ergreifend auf seine Fürsorge zurückzuführen. Er wusste von der Kurzsichtigkeit seiner Töchter. Damit stellten die offenen Kaminfeuer eine viel zu große Gefahr für seine Kinder da. Unter der oft rauen Schale verbarg sich also ein liebevoller, fürsorglicher Familienvater, unter dessen Starrsinn die Kinder jedoch oft zu leiden hatten.

Seine Frau Maria Branwell heiratet er im Dezember 1812. Bevor Charlotte am 21. April 1816 das Licht der Welt erblickte, hatte Maria ihrem Mann bereits zwei Töchter geboren, Maria und Elisabeth. Es folgten Branwell (1817), Emily (1818) und schließlich Anne (1820). 1820 bezog die Familie, wie bereits beschrieben, das Pfarrhäuschen in Haworth. Dort, dicht beieinander, abseits von der Welt, führten sie ihr schwieriges und eintöniges Leben. Bis auf Anne sind auch alle in diesem Haus gestorben.

Als erste verließ die Mutter ihre Familie. Die vielen Geburten hatten sie geschwächt, sie verstarb im Herbst 1821.

Der Vater erkannte bald, dass er seine vielen Kinder nicht alleine erziehen konnte. Trotz der Hilfe einer Verwandten, entschied er sich bald, seine ältesten Töchter auf ein Pensionat für Pastorentöchter in der Nähe von Leeds zu schicken. Zunächst wurden Maria und Elisabeth, damals zwölf und zehn Jahre alt, auf dieses Internat geschickt, später folgten die achtjährige Charlotte und die sechsjährige Emily. Wie sehr die Mädchen in dieser Schule zu leiden hatten, wird bei der Lektüre von Charlottes Roman Jane Eyre deutlich.

Die Schule wurde von strenger Hand geleitet, stets mit der Absicht, den Mädchen Disziplin, Demut und Bescheidenheit beizubringen. In der Praxis bedeutete dies ein Leben unter extrem spartanischen Verhältnissen unter strenger Aufsicht, nicht einmal warme Kleidung für den Winter wurde bereitgestellt, die Schlafräume waren nicht beheizt, und alles, was Freude bereiten könnte, wurde den Mädchen vorenthalten. Unter diesen Bedingungen war es kein Zufall, dass viele der Schülerinnen krank wurden.

Erst als an der Schule jedoch eine Typhusepidemie ausbrach, wurden die Eltern in Kenntnis gesetzt. Pfarrer Brontë war entsetzt, als er die Schule besuchte und den Zustand seiner Töchter erkannte. Maria nahm er selber mit nach Hause, Elisabeth wurde später nach Hause geschickt. Beide lebten nur noch wenige Tage und starben. Für die anderen Schwestern begann jedoch bald eine literarische Kariere, die ihnen den Ruhm verschaffte, der bis heute ungebrochen anhält.

Das Haus der Brontës steht noch heute. Als Brontë Parsonage Museum Haworth kann es besichtigt werden, und der Besuch lohnt sich, da viele Zimmer originalgetreu erhalten sind.

© Till Weingärtner


Brontë-Spezial
Specials

Special von lettern.de