Heinz Ludwig Arnold/Andreas C. Knigge: Text und Kritik Sonderband:
Comics, Mangas, Graphic Novels Edition Text und Kritik
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Über die neunte Kunst
In dem Sammelband „Comics, Mangas, Graphic Novels“ werden Aufsätze veröffentlicht, die sich aus den unterschiedlichsten Sichtweisen den Comics und seinen Erschaffern nähern. Wie so häufig in Anthologien sind die Aufsätze von sehr unterschiedlicher Qualität.
Andreas C. Knigge schildert in seinem Beitrag "Zeichen-Welten. Der Kosmos der Comics" zwar eine gute und gut lesbare Geschichte des Comics, ist in sich aber nicht sehr stringent. Die Definition, was ein Comic eigentlich ist, erst dann zu bringen, wenn man sich als Leser schon längst in der (Comic-)Geschichte befindet, ist nicht nachvollziehbar. Es hätte die Geschichte anhand der Definition erläutert werden sollen. Die Definition von "Graphic Novel" als Autobiografie in erzählenden Bildern scheint auch zu kurz zu greifen. Der englische Begriff "Novel" steht schließlich nicht für Autobiografien, sondern für Romane. Der opulente Band "From Hell" über die Morde von Jack the Ripper ist mehr eine Graphic Novel als eine Autobiografie. Diese schwache Definition des Begriffes wird leider in allen folgenden Beiträgen beibehalten.
Urs Hangartner schildert in "Von Bildern und Büchern. Comics und Literatur – Comic Literatur" noch mal eine kurze Comicgeschichte, arbeitet aber sehr exemplarisch und dadurch wirkt der Aufsatz sehr banal. "Entenhausener Dramaturgie. Wie uns Comics illusionieren" von Andreas Platthaus ist allerdings dann hochinteressant und bietet einen hervorragenden Einblick in die Disney Studios und Erzählmechanismen des Comics. Diese Mechanismen werden anhand von Beispielen so gut erläutert, dass Belegbilder kaum noch benötigt werden. Sehr gut. Gedämpft wird das allerdings sogleich durch den schwachen Beitrag von Wolfram Knorr: "Will Eisner. Oder: Das visuelle Rauschgift des Bilderromans", der eigentlich nur deutlich macht, das sich Knorr sehr unbehaglich gegenüber Eisner und seiner Verdienste fühlt. Sein Skeptizismus scheint sich allerdings mehr auf US-Comics denn auf europäische zu richten, macht diesen Unterschied aber nicht deutlich. Klaus Schikowski hingegen schreibt sehr gut, schlüssig und interessant über "Folks, I'm going to speak plain. Robert Crumb und die Entwicklung der autobiografischen Comicerzählung." Gerade der Blick auf den Underground der Sechziger und seine Auswirkungen sind hervorragend, aber das Spätwerk von Crumb kommt etwas zu kurz.
Hervorragend sind auch die folgenden drei Beiträge von Herbert Heinzelmann (über Hugo Pratt und seinen Charakter "Corto Maltese"), Paul Derouet und Andreas C. Knigge (über den Autor Pierre Christin) und Christian Gasser (über Jaques Tardi), in denen der Leser manches lernt über die politischen und gesellschaftlichen Beeinflussungen auf den Comic, die Postmoderne und das Spiel mit erzählerischen Konventionen. Sehr lehrreich und gleichzeitig gut zu lesen. Die Höhepunkte des Bandes.
Dietrich Grünewald berichtet über den (in Deutschland) eher unbekannten Zeichner Breccia. Und leistet ein Lehrbeispiel wie man gut nachvollziehbar und fasziniert lesen kann wie man in Comics grafisch erzählt. Den Beitrag hätte Dietmar Frenz besser lesen sollen, denn sein Aufsatz zu Alan Moores "Watchmen" bietet nichts wirklich Neues und seine Argumentation (besonders im Vergleich von "Watchmen" zu Winsor McCays "Little Nemo") ist arg weit hergeholt.
Jonas Engelmanns Artikel über den Autor David B. und den französischen Verlag L'Association ist zwar interessant, aber lässt nicht so richtig die Relevanz erkennen. Ein Artikel über Möbius wird in diesem Band stattdessen schmerzlich vermisst. Der Artikel von Jens R. Nielsen über die Mangas (die in dem Band, obwohl als Titel groß angekündigt, nur in diesem Aufsatz extra behandelt werden) hingegen arbeitet zwar sehr exemplarisch, aber nachvollziehbar, stringent und hochinteressant. Nicht nur für Mangafans ein Muss. Anna Gentz und Jannis Manolis Violakis hingegen kann man in diesem Band überblättern. Wenn man hinter die hochgestochene Sprache blickt, wie bei Anna Gentz, erkennt man nur eine große inhaltliche Banalität. Andere Themen wären angemessener gewesen, wie zum Beispiel über Comics die aus (comic)fernen Ländern kommen wie Skandinavien oder Afrika. Oder noch mehr Zeichnerporträts wie über den schon erwähnten Möbius oder Richard Corben. Auch das Interview von Andreas C. Knigge mit dem Verleger Dirk Rehm vom Reprodukt-Verlag wirkt hier wie ein Fremdkörper und hätte auch weggelassen werden können.
Sehr unterschiedliche Qualität der Aufsätze. Manche sind sehr wissenschaftlich, interessant und spannend, andere schlecht geschrieben, banal und überflüssig. Trotzdem ist der Sammelband für all jene empfehlenswert, die sich für Comics interessieren und den Weg des Mediums weiterverfolgen wollen, das in Frankreich und den Beneluxländern schon längst als Kunst gilt.
© Jons Marek Schiemann 2010
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