Peter Bichsel -
Doktor Schleyers isabellenfarbige Winterschule Kolumnen 2000 - 2002 Suhrkamp Verlag
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"Mir fällt nichts ein." Dieses unerwartete Bekenntnis ist die Überschrift einer von 29 Kolumnen; die meisten sind in der "Schweizer Illustrierten" erstmals erschienen. In einem Band gesammelt ergeben sie ein Bild der Assoziationen, Beobachtungen, Gedanken und Geschichten, die dem Schweizer Autor Peter Bichsel durch den Kopf gehen und die er – zum Glück – aufgeschrieben hat, damit eine Seite nicht mehr leer ist.
"Was fällt mir eigentlich nicht ein, wenn mir nichts einfällt?" Bichsel stellt Fragen, die so simpel erscheinen, dass man sie nicht zu stellen wagte. "Gestern noch saßen wir doch zusammen, und jeder wollte immer wieder zu Wort kommen, weil jedem immer wieder, und noch und noch, etwas einfiel [...] es war ein sehr angenehmer und langer Abend, und ein Wort ergab das andere. Das ist es wohl, was geschieht, jetzt, wenn mir nichts einfällt, das eine Wort ergibt nicht das andere. Es ist nicht das eine, was mir nicht einfallen will, es ist das andere, weil das Eine das Andere nicht auslösen will."
Der Fehler liegt also im System, nicht in mangelnder Fantasie. Und dann folgt, zur Illustration, eine richtige Bichsel-Geschichte, über Gustav: "Dem Gustav fällt nichts ein." Und das ist ansteckend: "Wenn Gustav hier ist, fällt mir nichts ein." Warum bloß? "Gustav kennt all die Wörter, die keine anderen Wörter auslösen. Gustav spricht nicht über Fußball, nicht über das Wetter, Gustav erzählt keine Witze, er beklagt sich nicht über seinen Vermieter" und so weiter. Schließlich gelangt Bichsel zu einer erstaunlichen Entdeckung: "Seine Wörter müssen sich sehr einsam fühlen in seinem Kopf – und seine Wörter machen alle anderen Wörter einsam."
Die Einsamkeit der Wörter also. Wer kennte solche Situationen nicht: Ich weiß nichts zu schreiben, nichts zu reden. Ich suche die Ursache in mir selbst oder in meinem Gesprächspartner. Bin ich nicht entspannt? Langweilt er mich?
Bichsel bringt einen dazu, Dinge anders zu sehen, und darin liegt der Reiz und immer wieder das Überraschende. Man kann alles auch anders sehen! Das banale Gespräch übers Wetter ist gar nicht belanglos. "Ich spreche mit dir, sag etwas, irgend etwas, ich möchte dich sprechen hören".
Und so sind Bichsels Texte zutiefst menschlich, voller Empathie auch für den lästigsten unserer Zeitgenossen. Ab und zu belehrt er ein bisschen (zu sehr), aber das ist selten. Spannend dagegen sind die Kolumnen dort, wo er mit Wörtern spielt und uns so zu ganz neuen Einsichten verhilft.
© Dr. Eva Lacour 2003
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