Lily Brett: Zu viele Männer - Rezension Literaturmagazin Lettern.de Lily Brett: Zu viele Männer

Suhrkamp Verlag
Übersetzung: Melanie Walz
Taschenbuch
, 656 Seiten
12
,00 €
ISBN: 3-518-39874-1

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Ruth Rothwax ist die Tochter jüdischer Eltern, die den Holocaust überlebt haben. Die 43-Jährige ist eine typische, häufig neurotisch agierende Frau, die in New York lebt. Ungewöhnlich ist ihr Beruf – mit dem sie gutes Geld verdient: Ruth Rothwax schreibt Briefe für andere Leute.

Ihre Mutter ist vor einigen Jahren verstorben, ihr Vater Edek lebt in Melbourne. Ruth beschließt, ihren Vater zu einer Reise nach Polen einzuladen – zu einer Reise in seine Vergangenheit. Die anvisierten Ziele lauten Warschau, Lodz, Krakau und Auschwitz. Die New Yorkerin hat sämtliche Reiseziele en detail geplant und will mit ihrem Vater nicht nur sein Geburtshaus in Warschau besichtigen, sondern auch Orte des Schreckens, wie das Konzentrationslager Auschwitz, in dem ihre Eltern interniert waren. Ruth Rothwax hat Angst vor der Reise und ist zugleich begierig darauf, auf den Spuren ihrer Vorfahren zu wandeln. Im Verlauf des Romans wird zunehmend deutlicher werden, dass nicht der Vater die Auseinandersetzung mit der Shoah sucht, sondern sie selbst – als "Nachgeborene".

Während Edek Rothwax gelassen und entspannt agiert und sich in seiner alten Heimat vor allem für regelmäßige üppige Mahlzeiten, Fahrten im Mercedes und Frauen interessiert, ist seine einzige Tochter massiv angespannt und auffallend nervös. Land und Leute irritieren sie zutiefst. Bei jedem Polen wittert Ruth eine massiv antisemitische Haltung. Besonders bösartig geraten ist Lily Brett das polnische Ehepaar, das in der Wohnung lebt, in der Edek aufgewachsen ist und die er mit seiner Familie bei der Deportation verlassen musste. Die beiden alten Leute scheinen nur auf die "reichen Rothwax-Juden" gewartet zu haben, um ihnen für viele Dollars ihr damals zurückgelassenes Eigentum verkaufen zu können. Und Ruth kauft – gegen Edeks Willen die Vergangenheit zurück – ohne zu begreifen, dass für ihren Vater das Gestern gestrig ist.

Bei Ruths beinahe täglichen Joggingausflügen, die die Amerikanerin natürlich auch in Polen fortsetzt, spricht eine geisterhafte Stimme zu ihr. Es ist die Stimme von Rudolf Höß – und Höß berichtet ihr aus seinem Leben als Lagerkommandant von Auschwitz. Hier tauchen immer wieder wörtliche Zitate aus den Tagebüchern Höß’s auf, die – für diejenigen, die sie noch nicht kennen – höchst interessant zu lesen sind.

Die Autorin zeichnet nicht nur ein kritisches Bild der Polen, sondern auch eines der vielen Reisegruppen, die auf "den Spuren des Antisemitismus" durch das Land reisen. Es fallen böse Worte über das Konzentrationslager, das als "Museum" firmiert, über Reisegruppen, die durch das ehemalige jüdische Viertel Krakaus geführt werden, das für sie allerdings lediglich noch als Drehort des Spielberg-Films "Schindlers Liste" von Interesse ist. Jüdische Restaurants werden nicht von Juden geführt, sondern von polnischen Wirten, die Gerichte erfinden und als jüdische Spezialitäten deklarieren.

Lily Brett hat ein lesenswertes, interessantes und an manchen Stellen bitterböses Buch geschrieben, dem man viele Leser wünscht – die jedoch auch stets eine gewisse kritische Distanz wahren sollten.

© Heide John 2010


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