Thomas
Brussig - Am kürzeren Ende der Sonnenallee Fischer Verlag |
In seinem neuesten Roman erzählt Thomas Brussig (Helden wie wir) von einer Gruppe Ostberliner Jugendlicher, die in einer kleinen Straße unmittelbar neben der Mauer leben und versuchen mit den Verhältnissen in der DDR fertig zu werden.
Auch in diesem politisch äußerst brisanten Winkel der Welt sind die Probleme und Interessen der Jugend erst einmal gar nicht so anders wie es sonst irgendwo der Fall ist. Doch immer wieder gibt es ein paar sehr spezielle Probleme: ein Liebesbrief wird von einem Windstoß gepackt, segelt über die Mauer und landet im Todesstreifen - der arme Empfänger wird nie mit Sicherheit erfahren, wer denn da nun für ihn schwärmte.
Der Musikgeschmack unterscheidet sich auch nicht großartig von dem ihrer westlichen Altersgenossen, jedoch gibt es gewisse Schwierigkeiten an Platten verbotener Bands, wie den Rolling Stones, zu gelangen. Als ein Volkspolizist auch noch eine Kassette mit verbotener Musik beschlagnahmt, diese auf seiner Beförderungsfeier abspielt, und zur Strafe gleich wieder um zwei Ränge degradiert wird, wird das Leben auch nicht gerade leichter. Und immer wieder ist da der Westen, in Form von hämischen Beobachtern, die von einer Beobachtungsplattform das Leben im Osten beobachten und sich über das putzige Verhalten, das sie teilweise beobachten dürfen, köstlich amüsieren.
Thomas Brussig hat mit Am kürzeren Ende der Sonnenallee keinen politischen Roman geschrieben, es ist keine Abrechnung mit einem Staat, der seine Bürger jahrzehntelang geknechtet hat. Er verklärt die Verhältnisse allerdings auch nicht, sondern macht sie zu dem was sie für viele Bürger der DDR zweifelsohne waren: Zum alltäglichen Wahnsinn.
Thomas Brussig sprüht ein Feuerwerk an bunten Ideen ab: Die Westverwandtschaft, die Güter schmuggelt, deren Einfuhr überhaupt nicht untersagt ist; junge Verschwörer, die erst in ihrer Polizeizelle merken, dass sie sich bei ihrem Plan, das gesamte Gebiet der DDR käuflich zu erwerben, wohl um ein paar Nullen verrechnet haben; betrunkene FDJler, die Autos aus dem Westen anhalten und ihren Insassen sozialistische Kampflieder singen; schwule Tanzlehrer und vieles mehr.
Herrliche Charaktere, wunderbar spaßige Situationen, die doch alle nicht unrealistisch sind und auch in ihrer Komik das Leben in der DDR verdeutlichen. Die Hauptpersonen leiden, sie leiden, wenn sie vom rachsüchtigen Polizisten ausgerechnet mitgenommen werden, wenn sie zu ihrer wichtigen Verabredung wollen oder wenn ihnen ein Redebeitrag für den nächsten Parteitag aufgebrummt wird.
Doch der Leser muss bei Brussig in 'keinster' Weise leiden. Für ihn offenbart sich eine Riesen-Fundgrube schwarzen Humors und bissiger Satire. Thomas Brussig hat mit Am kürzeren Ende der Sonnenallee das witzigste Buch des Jahres geschrieben.
© Till Weingärtner 2001
Eine zweite Rezension zu diesem Buch von Petra, die im Osten der Stadt aufgewachsen ist:
Durch eine interessante Talkshow verfolgte ich die
Ausführungen von Leander Haußmann zum Film Sonnenallee. Anhand der kurzen Inhaltserläuterung
dieses Regisseurs, erweckte es in mir Aufmerksamkeit, weil es
sich um ein verfilmtes Buch handelte, das meinen Heimatbezirk
betrifft. Es war für mich sehr interessant zu lesen, wie ein
Schriftsteller die Lebensweise und die Konfrontation mit der
Mauer und dem ostdeutschen Gesellschaftssystem literarisch
verarbeitet hat.
Michael Kuppisch, ein Jugendlicher und seine besten Freunde
verbringen ihre Freizeit zusammen und leben im Treptower Bezirk
Berlin-Baumschulenweg, wo sie in unmittelbarer Wohnnähe mit der
Grenze zum anderen Teil Berlins konfrontiert sind, sowie durch
westliche Plattformen, mit darauf stehenden Menschen der anderen
Seite, ständig beobachtet werden. Sie haben sich daran gewöhnt
und können damit umgehen und wollen eben 'trotz allem' Spaß
haben, soweit es die Möglichkeiten zulassen. So interessieren
sich alle für das schönste Mädchen mit Namen Miriam. Alle
träumen von ihr, am meisten Michael. Die ersten Liebesgefühle
beflügeln die Jungen und man befasst sich mit der Verfassung
eines Liebesbriefes, der nach seiner Fertigstellung zu allem
Unglück durch einen Windstoß in den Todesstreifen geweht wird.
Er wird nie bei der Person landen, für den er geschrieben wurde.
Die jugendliche Truppe sind begeisterte Musikhörer, gehen gerne in Diskos und wollen Gruppen aus dem westlichen Ausland hören wie z. B. Rolling Stones oder Jimi Hendrix, und das von Original-Schallplatten. Das diese Dinge nur schwer zu bekommen sind wissen sie, und sie lassen sich auch da etwas einfallen. Immer wieder werden sie von aufmerksamen Polizisten und Abschnittsbevollmächtigten beobachtet und ausgefragt. Manche Verhaltensweisen von ihnen werden gemaßregelt, mit politischen Vorträgen auf den so genannten FDJ-Veranstaltungen. Dabei zeigt sich immer wieder der Widerspruch zwischen den inneren Denkweisen und dem nach außen gekehrten anscheinend sozialistischem Denken, das sie offiziell gegenüber diesen Aufsehern für Recht und Ordnung oder den Leitungskräften in der Schule vertreten mussten, doch im Innern eine ganz andere Haltung hatten. Aus Angst, man könnte Nachteile erwarten, wurde mitgeredet.
So wird auch das Familienleben der Kuppischs gezeigt, wo West-Onkel Heinz immer regelmäßig seine Besuche abstattet, und
ständig konfrontiert wird, mit dem Umgang der Grenzbeamten, und
stets etwas zu sagen hatte zur DDR-Lebensweise. In vielen
Episoden des Romans werden tägliche Erlebnisse der Jugendlichen
erzählt und die Entwicklung der Liebesgeschichte zwischen
Michael und Miriam zieht sich durch den gesamten Roman.
So erzählt Thomas Brussig viele kleine Episoden dieser Menschen,
in humorvollem, leicht zu lesendem Stil. Wenn man dieses Buch
gelesen hat, muss man natürlich lachen und in einem selber
tauchen Bilder auf, die einem sehr bekannt gewesen sind. Man hat
auch dort gelebt und weiß wie man sich verhalten musste, doch
hatte man sich auch seine Freiräume geschaffen, wie die Jungen
in dem Roman.
Sicherlich ist der Mauerbereich, den Thomas Brussig hier
betrachtet hat, natürlich in der Realität ein Ort gewesen, wo
es sehr viel ernster zuging und Jugendliche sich so nah an der
Grenze nicht aufhalten durften - das wurde als Provokation
angesehen. Aber das weiß jeder, der das jahrelang erlebt und
auch gesehen hat, wie die Verwandten voller Angst ihre Besuche
gemacht haben.
Das Buch ist lesenswert und sehr unterhaltsam. Und man kann
sagen, wenn man den Film dazu nimmt, dass der Regisseur den
Inhalt des Buches Am kürzeren Ende der Sonnenallee
sehr gut filmisch verarbeitet hat, und man diesen Roman und den
Film sehr wohl weiter empfehlen kann.
© Petra
B. 2001
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