Ken Follett: Sturz der Titanen - Rezension Literaturmagazin Lettern.de Ken Follett: Sturz der Titanen

btb Verlag
Übersetzung: Rainer Schumacher, Dietmar Schmidt
Hardcover, 1024 Seiten
28
,00 €
ISBN: 3-785-72406-3
Hörbuch:
3-897-05563-5

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Achtung: Spoiler!!!

 

Drei Länder: Großbritannien, Deutschland, Russland; drei Familien: die Williams', die von Ulrichs und die Brüder Peschkow – ein Jahrhundert. Über 1000 Seiten hat der erste Band, der auf drei Bände angelegten Familiensaga des Bestsellerautors Ken Follett.

Die im Roman erzählte Geschichte beginnt im Juni 1911 und endet nach dem I. Weltkrieg. Bereits mit dem ersten Satz wird die Leitstruktur deutlich: "An dem Tag, als George V. in der Westminster Abbey den Thron bestieg, fuhr Billy Williams zum ersten Mal in die Grube von Aberowen ein."

Im Mittelpunkt steht die Verknüpfung verschiedener Lebensläufe. In einem wesentlichen Strang konzentriert der Autor sich auf die arme Bergwerksfamilie Williams. Deren jüngstes Mitglied, Billy, muss ab seinem 13. Geburtstag unter Tage schuften. Seine Schwester Ethel arbeitet als Dienstmädchen. Lohn und Brot verdient sie bei der Familie, deren Mitglieder den zweiten Hauptstrang bilden: den Fitzherberts. Der 28-jährige Earl Fitzherbert gehört zu den reichsten Männern Großbritanniens – nicht etwa, weil er sich seine Besitztümer selbst verdient hat, sondern weil "er der glückliche Erbe von Tausenden Morgen Land ist". Fitz ist mit einer Russin verheiratet, durch sie wird in gewisser Weise auch die Verbindung zu den Peschkows hergestellt, zwei elternlosen jungen Männern, die in einem Eisenbahnwerk in Sankt Petersburg arbeiten.

Wie erwartet, ist Fitzherbert ein versnobter Frauenheld und schwängert – ebenfalls wie erwartet – die Dienstmagd Ethel Williams. Auch die Peschkow-Brüder bedienen Klischees: Der brave, moralisch denkende Grigori spart, um in die Vereinigten Staaten auswandern zu können – und muss sein Ticket dann doch seinem leichtlebigen Bruder Lew überlassen, weil dieser auf der Flucht vor der Polizei ist. Grigori heiratet Katharina, Lews schwangere Freundin, die er – natürlich insgeheim – seit langem liebt. Mehr schlecht als recht schlägt Grigori sich durchs Leben, während Lew nach dem Umweg über Cardiff im amerikanischen Buffalo oft vom Glück gestreift wird, das ihm allerdings – aus eigenem Verschulden – immer wieder aus den Händen gleitet. Schlussendlich wird Grigori zum Revolutionär und sein Bruder, der zum wiederholten Mal eine Dummheit begangen hat, muss als Gefreiter zurück nach Russland.

Der deutsche Demokrat Walter von Ulrich hingegen ist ein guter Mensch. Ganz im Gegensatz zu seinem erzkonservativen Vater Otto ist er ein Freund von Gleichheit und Mitbestimmung. Als er Militärattaché in London wird, verliebt er sich in Lady Maud, die Schwester des Earls. Am Tag der Kriegserklärung heiraten die beiden, müssen ihre Ehe allerdings während der nächsten vier Jahre geheim halten.

Der Roman bietet wenig Überraschungen, die Handlung ist – genau wie die diversen Verstrickungen – vorhersehbar. Vieles wird dem Leser bekannt und vertraut vorkommen. Das Reißbrett schimmert also in vielen Passagen allzu deutlich hervor: Billy Williams’ Kommandant an der Front ist Earl Fitzherbert, Billy weiß, dass dieser der Vater von Ethels Kind ist. Die Komplikationen sind also vorgezeichnet. In Belgien begegnet der Earl dem Deutschen Walter von Ulrich, der ohne Fitzherberts Wissen mit seiner Schwester verheiratet ist, auch Gus Dewar, ein Amerikaner mit weitgehend positiven Charaktereigenschaften, befindet sich an diesem Frontabschnitt – gemeinsam mit Lew Peschkow, der ihm die Verlobte ausgespannt hat.

Man merkt es bereits: All das ist ein wenig viel des Zufalls. Gute Konstruktionen bestechen dadurch, dass der Leser sie nicht bemerkt. Andererseits ist Ken Follett ein großer Erzähler. Es gelingt ihm, den Leser in Bann zu schlagen, weil dieser erste Band der Familiensaga durchaus spannend erzählt ist. Das gilt vor allem für die ersten 700 Seiten; die sehr ausführlichen Schilderungen der schrecklichen Grabenkämpfe im I. Weltkrieg sind für meinen Geschmack etwas zu ausführlich geraten.

Wie eine unterhaltsame Geschichtsstunde beschreibt Follett hingegen die Veränderungen der alten Herrschaftsstrukturen, also den allmählich fortschreitenden Niedergang des Adels und den Aufstieg der Arbeiter. Auch über das Leben walisischer Bergleute, nach Amerika eingewanderter Russen, die als "Paten" ihr Geld verdienen, die russische Revolution und über sich allmählich emanzipierende Frauen wird der Leser einiges erfahren.

Der Autor recherchiert nicht alleine, so verwundert es nicht, dass historische Figuren genauso in die fiktive Handlung eingebunden wurden wie Auszüge aus Parlamentsprotokollen. Schlussendlich handelt es sich um einen soliden Roman, der nicht mit großen Überraschungen aufwartet, aber dennoch zu einem gewissen Lesevergnügen führen kann.

© Heide John 2010


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