Natalia Ginzburg - Familienlexikon - Rezension Lettern.de Natalia Ginzburg - Familienlexikon

Klaus Wagenbach Verlag
broschiert
, 188 Seiten
10
,00 €
ISBN: 3-803-12563-4

 

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Natalias Familie

Ja, berühmt war er, Natalias Vater – ein Arzt und Professor. Aber er war ein ziemlich anstrengender Vater, ständig wütend auf irgend jemand oder irgendwas und das auf eine Weise, die man sich mit Vergnügen von Natalia, seiner Tochter, erzählen lässt. Als ihre Mutter ihm von Proust erzählt und erwähnt, dass der seine Mutter und seine Großmutter liebte und wegen seiner Krankheit sein Zimmer mit Kork isolieren ließ, kommentiert der Vater gereizt: „Das muss ein Simpel gewesen sein!“

Erbittert streiten sich die Eltern darüber, ob jemand schön ist oder ein anderer schöner. Aber die Erbitterung ist immer beim Vater, der geradezu außer sich geraten kann. Die Mutter lässt sich nicht beirren und bleibt heiter auf ihrem Standpunkt. Sie liebt ihre Kinder, die drei Söhne und zwei Töchter. Die Geschwister untereinander sind auf seltsame Weise miteinander verbunden und distanziert zueinander. Noch als Erwachsene verständigen sie sich aber sofort, wenn sie die Kernsätze aus Vaters Tiraden zitieren: „Wonach stinkt der Schwefelwasserstoff?“

Diese seltsam chaotische großbürgerliche Familie wird einem in diesem schönen Wagenbach-Taschenbuch immer lieber. Ihre Mitglieder sind auf eine selbstverständliche Art hoch gebildet. Die Autorin Natalia scheint das allerdings kaum zu bemerken, sie ist ja eine von ihnen. Und: Die Aufzeichnungen haben auch damit zu tun, dass diese Menschen alle in den Widerstand gegen die Faschisten verwickelt werden. Natalias Ehemann Leone wird später nach Folterungen im Gefängnis getötet. Vater und alle Brüder sind zeitweise im Gefängnis, die Familienmitglieder geraten in Verbannung oder verlieren alle Privilegien. Das hindert den Vater nicht an hingebungsvollen Verdammungen von Käse oder Früchten, die ihm grade nicht passen, die Mutter nicht an ihrem liebevollen Überlebenswillen, der alle einschließt, die zur Familie gehören. Dass aber dieser Widerstand stattfinden musste, ist auch kein Thema für Natalia. Es gab Dinge, die selbstverständlicher waren, als die richtige Käsesorte.

Das kleine Buch ist sehr berühmt. In Italien bekam es den Premio Strega, einen wichtigen Literaturpreis. Es ist ein Verdienst des Wagenbach Verlags, dass er im Rahmen seiner Konzentration auf italienische Literatur dieses wichtige Werk wieder aufgelegt hat.

Ein wunderbares Geschenk für Menschen mit Sinn für das Beste an europäischen Traditionen und mit heimlichem Vergnügen an einer unendlichen Toleranz gegenüber Macken und Marotten, wie sie in dieser Familie nun einmal vorkamen.

Für 10 Euro kann man selten in so guter Gesellschaft sein.

©  Paul McPaulchen 2007


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