Keizo
Hino - Trauminsel
Aus dem Japanischen von
Jaqueline Berndt und Hiroshi Yamane
|
Die Entfremdung des Menschen von der Natur spielt in Hinos Werken eine zentrale Rolle. Diese Entfremdung bringt er besonders durch das Verhältnis seiner Protagonisten zur Metropole Tôkyô mit ihrem urbanen Leben und ihren Hochhäusern zum Ausdruck.
Shozo ist ein nicht mehr ganz junger Angestellter einer Immobilienfirma in Tôkyô. Er verspürt große Bewunderung, ja fast schon Liebe für das moderne Tôkyô. Er hat erlebt, wie aus dem Tôkyô der Brandruinen nach dem Krieg ein Tôkyô der Hochhäuser wurde. Seit dem Tod seiner Frau zieht er sich von seinen Mitmenschen zurück, um vom aufgeschütteten Neuland an der Küste Tôkyôs die Skyline zu bewundern.
Sein Leben verändert sich schlagartig, als er eines Tages bei seinen Ausflügen zum Neuland beinahe von der Motorradfahrerin Yôko überfahren wird. Yôko fasziniert ihn, und, vielleicht will es sein Schicksal so, er erlebt einige Tage später, wie sie in einen Unfall verwickelt wird. Obwohl er von anderer Seite aus gewarnt wird, weiter Kontakt mit Yôko zu pflegen, versucht er immer häufiger, Yôko zu treffen.
Eines Tages nimmt sie ihn mit zur Trauminsel, einer verwilderten kleinen Insel vor der Küste Tôkyôs. Hier stehen die lange verlassenen Ruinen eines alten Militärpostens aus dem vorigen Jahrhundert, um den sich ein kleiner Urwald entwickelt hat. Diese Insel beherbergt ein trauriges Geheimnis: Durch menschliche Unachtsamkeit verendeten hier viele Reiher, die tot in ihren Bäumen hängen. Das traurige Bild stellt Shozos Bild der Zivilisation und modernen Großstadt in Frage, die, ohne Rücksicht auf Verluste, immer weiter und immer größer wird, mehr und mehr Müll produziert, und diesen auch noch benutzt, um neues Land aufzuschütten, um auf diesem wieder neue Hochhäuser zu errichten.
Die Figur der Yôko hat vom ersten Treffen an etwas Geheimnisvolles an sich. Sie ist eine merkwürdige Frau; bis zum Schluss bleibt es dem Leser verborgen, was für ein Mensch sie ist. Doch die Lösung ist wenig überraschend, sondern viel mehr von verblüffender Klarheit. Eine ebenfalls unklare Rolle spielt scheinbar eine weitere Person, die Shozo zufällig kennen lernt: Die "Schaufensterpuppen-Frau", die Shozo auf diesen Namen tauft, weil sie Schaufensterpuppen auf merkwürdige Weise arrangiert. Sie selber bezeichnet sich als "eine Art Schwester Yôkos", und sie ist es, die Shozo vom Kontakt zu Yôko abzuhalten versucht. Auch ihre Rolle wird dem Leser erst am Ende des Buches vollkommen bewusst.
Am Ende des Buches steht, obwohl viele inhaltliche Unklarheiten beseitigt sind, ein großes Fragezeichen. Nach einem tragischen Zwischenfall auf der Trauminsel bleibt die Frage im Raum stehen, was die Zukunft für Yôko bringt und ob die Metropole Tôkyô still und leise von allem Besitz ergreifen wird.
Hino bedient sich in seinem ganzen Buch einer sehr bildreichen, ausgefeilten Sprache, die an einigen Stellen, vielleicht auch bedingt durch die sicher nicht leichte Übersetzung, ein wenig schwerfällig und stockend wirkt. Die Handlung tritt oft in den Hintergrund; philosophische Überlegungen stehen in diesen Passagen im Vordergrund. Der Bezug auf die Umweltproblematik erfolgt nur subtil. Das Buch ist keine schreiende Anklageschrift gegen das Wachstum einer Großstadt, bis zum Ende wird die Großstadt bewundert. Auch Hino selber bezeichnet sich im Nachwort als Bewunderer einer modernen Metropole wie Tôkyô. Doch das Buch zeigt die Fragen auf, die sich aus der Problematik eines Städtewachstums ergeben. Sowohl für die Natur, die selbstverständlich darunter leidet, als auch für den, der unter Entfremdung und Einsamkeit leidet; manchmal sogar, ohne es zu merken.
Das Buch ist auf jeden Fall empfehlenswert.
© Till Weingärtner 2001
Aktuelle Kinderbuch-Rezensionen | |
Aktuelle Rezensionen | |
Aktuelle Hörbuch-Rezensionen | |
Rezensionen von A-Z | |
Rezensionen nach Genre |
Rezensionen von lettern.de