Olaf Kraemer - Ende einer Nacht - Rezension Literaturmagazin Lettern.de Olaf Kraemer:  Ende einer Nacht
Die letzten Stunden von Romy Schneider

Blumenbar Verlag
Hardcover
, 188 Seiten
17
,90 €
ISBN: 3-936-73842-4

 

Dieses Buch neu bestellen           gebraucht suchen


"Die sie schon länger kennen, behaupten, ihre Nachtseite sei das Privatleben: Wenn die Lichter angehen, erblühe sie in gleichem Maße wie sie in sich zusammensacke, sobald die Lichter wieder verlöschen."

Romy Schneider, die im September 2008 siebzig Jahre alt geworden wäre, ist eine der großen deutschen Legenden. Nicht nur, weil sie eine der herausragenden Schauspielerinnen des 20. Jahrhunderts war, sondern auch aufgrund ihrer tragischen Lebensgeschichte.
Von ihrer ehrgeizigen Mutter Magda zu frühem Ruhm gedrängt, von einem großen Teil der Film- und Fernsehzuschauer lebenslang durch den Sissy-Stempel geprägt, wenig glücklich mit ihren Liebhabern und Ehemännern und zutiefst betroffen von grausamen Schicksalsschlägen wie dem Tod ihres Sohnes David.
Romys Leben war kurz. Am 29. Mai 1982 starb sie – und ähnlich wie Marilyn Monroe und Diana wurde auch sie aufgrund ihres frühes Todes zum Mythos.

Olaf Kraemer wagt mit seinem Roman "Ende einer Nacht" ein mutiges Experiment; eines, das un- und außergewöhnlich zugleich ist: Er vermischt Fakten und Fiktion und erzählt die letzten Stunden ihres Lebens. Seine in der dritten Person Singular und in Dialogform geschriebene Geschichte beginnt an einem Frühlingsabend in Paris um 23.57 und endet um 7:01 mit Romy Schneiders Tod.
In den dazwischen liegenden Stunden begleitet der Leser sie und erfährt zunächst, dass sie beschlossen hat, ihre Biografie zu schreiben; er folgt den Gedanken über ihren Lebensgefährten Laurent: "Seine Anwesenheit hat etwas Beruhigendes für sie. Genau wie seine Abwesenheit."
Auch von Mariengrund und dem Nationalsozialismus lässt Kraemer seine Protagonistin erzählen, vom Mädchenpensionat Goldenstein und von der übermächtigen Mutter. "... dieser Frau, die ihr das Leben geschenkt hat – und es nicht hergeben will."
Über Rainer W. Fassbinder heißt es: "Der Arztsohn aus dem Allgäu ist für sie immer noch einer der wenigen, die an beiden Enden brennen, statt auf kleiner Flamme zu verköcheln; da sind sie sich beängstigend ähnlich in ihrer bayerischen Maßlosigkeit, der Gier nach Leben. Nach Unbedingtheit."
Durch Fassbinder kommt sie laut Kraemer in Kontakt mit Kokain, Harry Meyen werden die Tabletten zugeordnet: "... doch Harry hatte ihr gezeigt, wie man den Tag und die Nacht feinsäuberlich in Teile zerlegen konnte. Für ihn waren Tabletten wie kleine, jederzeit verfügbare persönliche Raumschiffe, die es ihm erlaubten, über die eigenen Abgründe zu fliegen."
Und es sind ohnehin die Süchte, die eine durchgängig wichtige Rolle spielen: Alkohol, Zigaretten, Tabletten. Über, unter und neben alldem steht die Sucht nach Anerkennung, Liebe und nach dem Leben.
Alain Delon war Romys große Liebe, den Vater ihres Sohnes David, Harry Meyen, dessen Schicksal ebenfalls bedrückend und traurig anmutet, "hat sie sich gekauft", mit Daniel Biasini hat sie die Tochter Sarah, und gegen Ende ihres Lebens lebt sie mit Laurent Petin zusammen, der ihre Leiche finden wird.
Das Reflexive kommt in Bewegung und wird erweitert als Kraemers Romy sich im Laufe dieser langen Nacht nach draußen begibt, um Beruhigungsmittel für das bevorstehende lange Wochenende zu besorgen. Sie werden ihr verweigert, deshalb treibt sie durch die Nacht, beobachtet, denkt, erinnert sich, unterhält sich mit einem Taxifahrer – und landet schließlich beim "petit docteur", einem, der jedes Medikament verschreibt, einem, der jede Droge verabreicht.
Es ist 6:18 als sie wieder in ihrer Pariser Wohnung eintrifft, in der Laurent und ihre Tochter friedlich schlafen – und es ist 7:01 als das Telefon klingelt: „Sie lächelt und scheint zu schlafen ... doch sie ist jetzt nicht mehr da.“

Kraemer hat dieses Leben nicht nur auf eine sehr eigenwillige Art und Weise beschrieben, ihm sind darüber hinaus viele schöne Sätze gelungen, bewegende Bilder und nachvollziehbare Gedanken. Sein Buch führt den Leser durch Romys letzte Nacht – und es ist nicht wichtig, ob diese so oder anders verlaufen ist. Entscheidend ist, dass der Autor die Person Romy Schneider erfasst und augenscheinlich sogar verstanden hat.
Man folgt ihm und ihr und würde dieser Unausweichlichkeit gerne Einhalt gebieten – und auch das macht ein lesenswertes Buch aus: Es nimmt einen mit. Auf eine Reise.

© Heide John 2008


Aktuelle Kinderbuch-Rezensionen
Aktuelle Rezensionen
Aktuelle Hörbuch-Rezensionen
Rezensionen von A-Z
Rezensionen nach Genre

Rezensionen von lettern.de