Anant Kumar - Die galoppierende Kuhherde

Wiesenburg Verlag
TB, 110 Seiten 
11,25 €
ISBN 3-932-49758-9

 

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Leichtfüßiger Wanderer zwischen den Literaturwelten

Nimmt der Leser Anant Kumars jüngstes Buch zur Hand, so sticht ihm noch vor der ersten Seite eine Besonderheit ins Auge: Der Anfang des Inhalts steht bereits auf der Verpackung. Diese Idee mag ungewöhnlich sein, hat aber ihren Effekt nicht verfehlt. Denn dieser erste Prosa-Happen auf dem Buchdeckel macht Appetit auf mehr.

Und: Der Lesehunger wird im Verlauf der Lektüre zur Zufriedenheit gestillt, setzt der eingefleischte Döner- und Käsefreund Kumar dem Literatur-Gourmet doch episoden- und reihenweise erlesene Früchte vor. Früchte, die frisch, aromatisch, weil intensiv, und überdies abwechslungsreich sind. Da liest das Auge gerne mit – und darf sich noch dazu an passenden Zeichnungen Michael Blümels erfreuen.

Nun entscheidet sich die wahre Größe eines schreibenden Talents womöglich erst mit seinem ersten (längeren) Roman, aber kann nach dem Inhalieren dieser Melange aus differenzierten Reisebeobachtungen zu Diskrepanzen zwischen alten und neuen Bundesländern, sensiblen Betrachtungen zu Rassismus und Kulturvielfalt sowie stimmigen Reportagen über Lesungen und andere Kulturveranstaltungen, guten Gewissens behauptet werden, dass sich der ,,indische Schriftsteller deutscher Zunge“ (Kumar über Kumar) auf einem guten Weg dorthin befindet.

Denn der aufstrebende Real-Poet ist im Besitz dessen, was nicht allen seiner Zunft vergönnt ist: Zu was er sich auch äußert, mit welchen Worten er auch immer die Seiten zu bedecken versucht, Anant Kumar hat im buchstäblichen Sinne das nötige Händchen, um die "Dinge", um die es ihm geht und die um ihn herumgehen, verbal-emotional zu transportieren. Er schafft es auf (scheinbar) leichtfüßige Art, zwischen den Literatur- und Naturwelten umherzuwandeln und dabei dem Konsumenten seiner Texte ein prägnantes Bild seiner Sichtweisen zu vermitteln, ohne es zu überzeichnen.

Wie Kumar überhaupt aus einem für einen Westeuropäer seltsam erscheinenden Gleichgewicht heraus fühlt, denkt und folglich schreibt, was sich konsequenterweise in einem Übergewicht an anspruchsvollen Beiträgen niederschlägt. In welcher Sparte Kumar auch den Bogen spannt, basierend auf einer nahezu ständig durchklingenden Seelenruhe überspannt er ihn niemals, und dies wirkt sich auf den Leser beruhigend aus, ohne ihn dabei einzuschläfern.

So sind beispielsweise Kumars zu Papier gebrachte Naturerlebnisse, die ihren Reiz vor allem aus dem Verweben Indiens und Deutschlands beziehen, nie überzuckert, sondern auf poetische Schreibweise im Wortsinne schlicht und ergreifend schön. Betritt er dann die Bühne des politischen Beobachters, gelingt es ihm, durch eine geschickte Kombination aus Zitaten und bloßen atmosphärischen Schilderungen, Kontraste und Kontroversen wie zwischen Ost/West oder Europa/Asien aus seinem indisch-deutsch kombinierten Blickwinkel verblüffend klar darzulegen (wenngleich der sozialkritische Denkansatz zuweilen von dem klugen Verfasser noch weiterentwickelt hätte werden dürfen).

Und wenn der "junge Dandy" (O-Ton Kumar) sein zart verästeltes Ich freilegt, tut er dies, abgesehen von einer Stelle, wo er eine (leichte) Erektion bei Gedanken an den möglichen Inhalt einer Frauenhandtasche einräumt, nicht selbst produzierend oder sich gar prostituierend. Statt dessen achtet er darauf, eine charmant-ironische Distanz zwischen seinem Ich und seinem Autoren-Ego zu bewahren, Kumar hält sich sozusagen, wenn bisweilen auch mit Mühe, vornehm vor sich selbst zurück.

Als eine kleine Schwäche mag man es Anant Kumar auslegen, dass er hie und da die Schwelle vom lernenden Lehrenden zum Schulmeister kurzzeitig überschreitet, etwa dann, wenn er strategische Tipps zur Vermarktung eines Buches und Küchenphilosophien über die verzweifelte Suche nach dem treffenden Wort zum Besten gibt: "Die Sprache kann nur versuchen, sich der Wirklichkeit anzunähern und eine gewisse Genauigkeit zu erreichen. Aber sie hat ihre Grenzen."

In dieser, nicht zum ersten Mal ausgesprochenen Weisheit, steckt indes das Können dieses Wort geschliffenen Juwels: Kumar wagt sich auf unprätentiöse Schreibart an seine sprachliche Grenze, schießt aber nicht über das Ziel hinaus, weshalb er es dann schließlich erreicht, mit dem Resultat, seiner Leserschaft immer und immer wieder gleichsam spannende und entspannende Texte zu servieren.

© Ralph Gotta 2004


Darf ein Ausländer so was schreiben?

Kumar ist Inder. Die Sprache seiner Kindheit und Jugend ist Hindi. Er kam 1991 aus Indien, um... Deutsch zu studieren, Germanistik in Kassel. "Die galoppierende Kuhherde" ist sein fünftes Buch, das er hier in Deutschland veröffentlicht hat. Es ist untertitelt mit "Essays und andere Prosa".

Mit seinen geistreichen und mit Sprachwitz gewürzten Aufsätzen, vermag er es seinen Mitmenschen den Spiegel vorzuhalten. Dankbarkeit, dass er aus dem armen fernen Indien nach Deutschland kommen durfte, dass die Deutschen ihn nach langem Hin und Her ein Bleiberecht gewährten, dass er an unserem Wohlstand teilhaben darf, danach sucht man vergebens.

Mit erhobenem Haupt und viel Ironie behauptet er seinen Platz in unserer Mitte, nicht bereit zu kuschen, wenn er mit Situationen konfrontiert ist, bei denen man seine kritische Stimme nicht hören will. Egal, ob er scharf die Dummen unter den Ostdeutschen, die öffentlich Fremde und Schwache totmachen wollen, oder die Dummen unter den Westdeutschen, seine faulen Kommilitonen und die konservative Kleinbürgerschicht, betrachtet, er zeigt kompromisslos, dass sie Unrecht haben und Unrecht tun. "Darf ein Ausländer so was schreiben?" wird sich mancher fragen.

Und ich sage: Ja. Mehr noch: Es ist gut und wichtig, dass es einer sagt. In einem Deutschland, in das seit fünfzig Jahren Menschen aus allen Ländern und Nationen kommen, um zu arbeiten, um zu leben, um Teil unserer Gesellschaft zu sein, darf niemals mehr ernsthaft diese Frage auch nur gedacht werden. Auch wenn es die Deutsche Merz-Kultur nicht wahrhaben will, Deutschland ist eine bunte, pluralistische Gesellschaft geworden.

Und wenn Kumar über "die Deutschen" schreibt, so schreibt er auch über sich, als einen in Indien gebürtigen Deutschen. Es spricht für ihn, dass er nicht undifferenziert richtet und wertet, sondern seine Essays gerade davon leben, dass sie das Leben in seinen kleinen, überraschenden Details zeigen. Er hebt nicht den moralischen Zeigefinger, um für eine Minderheit einen höheren Stellenwert einzufordern.

Stattdessen beschreibt er genau und anschaulich die tatsächliche Situation, seien es seine Lesungsreisen in alle Ecken Deutschlands oder das Tanzfest seiner kurdischen Freunde. Wir können dankbar sein, dass er die Bewertung unserer Vernunft und unserem gesunden Menschenverstand überlässt. Auch wenn diese beiden Eigenschaften sich in den letzten Jahren durch ihr offensichtliches Fehlen bei uns Deutschen am meisten ausgezeichnet haben.

© Jürgen Suberg 2004


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