Charles Martin: Wohin der Fluss uns trägt Ullstein Verlag
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Der Weg ist das Ziel
Noch nie habe ich ein Buch gelesen, bei dem diese
Redewendung so zutreffend war. "Wohin der Fluss uns trägt" ist schon früh klar
und das im doppelten Sinne. Doch was zählt, ist die Reise auf dem im Titel
genannten Fluss, die Zeit, die dort gemeinsam verbracht wird.
Gemeinsam, das bedeutet Abbie und ihr Mann Chris. Die Herkunft der beiden hätte
unterschiedlicher nicht sein können. Abbie gehört zum Südstaaten-Adel von
Charleston und arbeitet erfolgreich als Model. Chris ist bettelarm und lebte mit
seiner Mutter in einem Trailerpark am St. Mary's River. Dank eines Stipendiums
studiert er Kunst in Charleston. Die beiden lernen sich zufällig kennen,
verlieben sich ineinander und heiraten gegen den Willen von Abbies Vater.
Nach zehn Jahren Ehe wird bei Abbie Krebs diagnostiziert, der sich trotz
jahrelanger Behandlung nicht besiegen lässt. Als die Ärzte ihr höchstens noch
zwei Wochen geben, beschließt Abbie, das Krankenhaus zu verlassen. Denn sie
möchte die ihr verbleibende Zeit nicht im Krankenhaus oder in einem Hospiz
verbringen, sondern gemeinsam mit Chris. So fahren die beiden an den St. Mary's
River, um dort mit dem Kanu zur Mündung des Flusses zu fahren.
Das klingt sehr kitschig, vorhersehbar und deprimierend – ist es aber erstaunlicherweise kaum. Sicher weiß der Leser von Anfang an, wie das Buch ausgehen wird. Aber der Weg dorthin ist eher positiv und verläuft anders als erwartet.
Die Geschichte wird aus der Perspektive von Chris erzählt, der sich ein Leben ohne Abbie nicht vorstellen kann. Abbie hingegen hat mit dem Leben fast abgeschlossen und sich mit dem nahenden Tod abgefunden. Obwohl beide wissen, was am Ende der Fahrt steht, versuchen sie den Rest ihres gemeinsames Weges so gut wie möglich zu nutzen, statt in Depressionen zu versinken. So strahlt das Buch trotz des bedrückenden Themas einen gewissen Optimismus aus.
Besonders schön fand ich die Stelle, an der Chris den Fluss offen als Metapher für den Lebensweg nutzt: "Der Fluss war ein magischer Ort. Man konnte sich beeilen [...] soviel man wollte, letztendlich bestimmte der Fluss das Tempo. [...] Das machten Flüsse ganz natürlich. Das Ziel war ihnen völlig gleichgültig, nur der Weg zählte." Deshalb finde ich den deutschen Titel etwas unpassend, denn es geht gerade in diesem Buch um den Weg und nicht das Ziel.
Die Landschaft wird sehr ausführlich beschrieben, teilweise allzu detailliert. Hier wäre manchmal weniger mehr gewesen. Dafür hätte ich mir eine Karte des Flusslaufs gewünscht. Auf der Homepage des Autors habe ich einige Fotos und weiterführende Informationen gefunden.
Die Kapitel spielen abwechselnd in der Gegenwart (d. h. beschreiben hauptsächlich die Reise auf dem Fluss) und in der Vergangenheit (hauptsächlich vom Kennen lernen der beiden bis zur Gegenwart). Auf der einen Seite zeigt so fast die Hälfte des Buches das Leben von Chris und Abbie vor der Krankheit, auf der anderen Seite stören diese häufigen Perspektivwechsel den Lesefluss.
Insgesamt ist das neuste Buch von Charles Martin ein empfehlenswerter Roman, der zum Nachdenken anregt.
© Monika Stache 2009
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