Jeff Noon - Alice im Automatenland - Rezension Lettern.de

Jeff Noon - Alice im Automatenland

Goldmann Verlag
Übersetzung: Ute Thiemann
218 Seiten , broschiert
€ 9,00
ISBN 3-442-54065-8

 

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Frage: Wer kennt nicht "Alice im Wunderland"? Mensch, Vogl, was ist denn das für eine bescheuerte Frage? Als ob es jemanden gebe, der dieses Buch oder diese Figur nicht kennen würde. Okay, nächste Frage: Wer kennt nicht "Alice hinter den Spiegeln"? Also, Vogl, komm, als ob es Menschen gibt, die dieses Buch nicht kennen würden.

Hm... klingt eher so, als wäre der Chor der Entrüsteten hier doch ein wenig kleiner geworden. Na ja, wie dem auch sei: Wer kennt denn nicht das Buch "Alice im Automatenland"? Also, Vogl, jetzt schlägt es aber endgültig 13! Als ob es jemanden geben würde, der nicht "Alice im... äh... Automatenland"?

Ich gestehe, auch ich habe erst mal ziemlich verdutzt aus der Wäsche geschaut , als ich las, dass es so etwas wie einen dritten Teil über Alice' Abenteuer gibt. Bestellt, gekauft und voller Neugier und Spannung angefangen zu lesen. Tja. Was soll ich sagen? Der Autor hat es geschafft, die Spannung dieses Buch so hoch zu halten, das ein Limbotänzer enorm große Schwierigkeiten hätte, da drunter hindurchzutanzen.

Kurz zur Story:

England im 18. Jahrhundert. Alice – so wie wir sie kennen – lebt mit ihrer Tante und ihrem Radieschen futternden Onkel in einem bescheidenen kleinen Häuslein. Alice nennt noch einen Papagei namens Whippoorwill ihr Eigen. Am Anfang legt Whippoorwill das Mädchen auf gemeine Weise herein und fliegt in die Standuhr und entschwindet.

Alice – voller Panik, dass sie eine Menge Ärger bekommt, weil der Papagei einfach so entfleucht ist – folgt ihm ebenfalls in die Uhr, klettert das innere Pendel hoch und findet sich im Jahr 1998 wieder. Das heißt, zuerst landet sie in einem Hügel, in dem Compu-Termiten leben. Compu-Termiten haben die Aufgabe, Fragen zu beantworten, und zwar, in dem sie durch irgendwelche Gänge rennen oder auch fahren. Manche haben nämlich Fahrräder.

Auf ihrer "Reise" lernt Alice auch noch ein paar andere, äußerst merkwürdige Gestalten kennen (z. B. Captain Ramshackle, eine Mischung aus Mann und Dachs, der Zufalllogie studiert hat, ihre Schwipp-Schwapp-Schwester namens Celia, eigentlich eine Statue, die den Gesetzesvipern entkommen konnte,  und Pablo, ein umgekehrter Schlachter), bevor es eigentlich RICHTIG zur Sache geht.

Während Alice und Celia nämlich versuchen Alice wieder in ihre Zeit zu bringen, stolpern die beiden alsbald in den ominösen Puzzle-Mord. Dieser heißt so, weil die Ermordeten neu zusammengesetzt wurden; allerdings anatomisch vollkommen unkorrekt. Selbstverständlich hat die Polizei gleich einen Verdächtigen. Klar: Alice.

Doch diese schafft es, immer wieder ohne jegliche Probleme zu entkommen, um neue Spuren zu entdecken und neue Opfer und Informanten zu treffen, die schließlich das Ausmaß des Komplotts erahnen lassen. Doch nun ist es nicht mehr so, das die Polizei Alice wegen Mordverdacht festnehmen will. Nein. Dadurch, dass sie immer mehr und mehr herausfindet, will eine Gesetzesviper (Mr. Minus) unbedingt, dass sie vernichtet wird.

Und dabei rutscht Alice von einer fantasievollen Szene in die andere, trifft sogar ihren Schöpfer Lewis Carroll wieder, bis sie schließlich – nach einer spannenden Verfolgungsjagd (die auf ihrem dramatischen Höhepunkt mit der Tod von Mr. Minus endet), wieder in ihrer Zeit landet. - Und sogar noch rechtzeitig zum Schreibunterricht.

Hurra!

Ein Hurra auch für mich, als ich diesen Roman (?) endlich durch hatte. Es ist eine Geschichte, bei der ich nicht so genau wüsste, wie ich sie bewerten soll. Da ist auf der einen Seite eine ungeheure Menge an Fantasie und Wortwitz, die des Lesers Augen zum Leuchten bringen. Da ist auf der anderen Seite aber ein Schreibstil, der streckenweise das Wort "langweilig" mit dreifacher Auszeichnung verdient.

Oft, sogar ziemlich oft, hat man das Gefühl, man liest ein sehr schlecht geschriebenes Kinderbuch, bei dem die Spannung nicht so direkt aufzutauchen vermag und dadurch, dass Alice selbst in den brenzligsten Situationen ohne wirklich großartige Probleme davonkommt, fühlt man sich auch ein wenig enttäuscht. Ich denke mal, Noon wollte den Stil Carrolls mit ins 21. Jahrhundert übertragen und dies in einer modernen 'Alice im Wunderland'-Version. Ein Versuch, der in meinen Augen eher nicht so geglückt ist.

Fazit:

Alice im Automatenland ist eine Geschichte, die, ja, nett ist. Sie kommt definitiv nicht gegen das Original an!! Die positiven Seiten sind die vielen, vielen, vielen fantasievollen Ideen. Die negativen Seiten bestechen durch langweilige Beschreibungen und das fehlende Maß an Spannung. Ich kann dieses Buch eigentlich nicht wirklich empfehlen. Dem echten 'Alice-im-Wunderland'-Fan nicht, weil er eine herbe Enttäuschung erleben wird. Und dem 'Nicht-Hardcore-Alice-Fan' nicht, weil es mit Sicherheit Bücher gibt, mit denen man mehr seiner Leselust frönen kann. Wer jedoch Wert auf viel Fantasie legt und sich dann auch nicht mehr vom Stil abschrecken lässt, okay. Allen anderen jedoch: Lieber Finger weg!

© Michael Vogl 2002


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