Cees Nooteboom - Allerseelen - Rezension Lettern.de Cees Nooteboom - Allerseelen

Suhrkamp Verlag
Taschenbuch, 436 Seiten
24
,99 €
ISBN: 3-518-41050-4
Hörbuch: 3-455-304672

 

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Es gibt Autoren, die ein Echo in mir auslösen. Ihre Bücher sind wohl Bücher, die mich gefunden haben. Cees Nootebooms Umweg nach Santiago war so ein Buch. Es war meine erste Begegnung mit dem Schriftsteller. Eine Freundin schenkte mir das Buch, weil ich vor etlichen Jahren auf dem Jakobsweg unterwegs gewesen war. Seither liebe ich den Autor, in dessen Schilderungen der Gegenwart immer die Vergangenheit durchschimmert.

Cees Nooteboom, der 1933 in Den Haag geboren wurde, begann als Journalist und wurde Reiseschriftsteller. Als Journalist berichtete Nooteboom über den Ungarn-Aufstand, den SED-Parteitag 1963 in Ost-Berlin und über die Pariser Studentenunruhen 1968. Er reiste durch Afrika, Asien und Südamerika. Sein erster, 1955 auch in Deutschland veröffentlichter Roman Philip und die anderen brachte ihm zwar den Anne-Frank-Preis ein, aber den Durchbruch verschaffte er ihm nicht. Bekannt wurde er erst 1980 mit seinem Roman Rituale. Der erste Roman erschien 2005 erneut, jetzt unter dem Titel Verlorenes Paradies. Bücher brauchen manchmal lange bis sie ihre Leser finden.

Nooteboom bekam internationale Preise, war Gastdozent an der kalifornischen Berkeley-University. 1988/89 war er Schriftsteller-Gast des Berliner Künstlerprogramms. Damit war er zur rechten Zeit am rechten Ort. Er bekennt: "Ich bin ein Meister der Vorläufigkeit. Gerade das verbindet mich mit Berlin."

Ich habe Allerseelen inzwischen zum zweiten Mal gelesen und es hat mich genauso gepackt. Dieses Berlin zwischen Vergangenheit und Zukunft, in dem der Protagonist Arthur Daane unterwegs ist, gibt es so schon nicht mehr. Das Zwischenstadium war so flüchtig, wie die ihn immer wieder heimsuchenden Erinnerungen an seine Frau und seinen Sohn, die bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen.

Der Tag nach Allerheiligen, Allerseelen, ist dem Gedenken der Toten gewidmet. In vielen Gegenden wird noch das österliche Allerseelenlicht zum Zeichen des Glaubens an die Auferstehung entzündet. Der Roman endet mit einer Auferstehung. Es wird die einfühlsame Geschichte von einem Menschen auf der Suche nach sich selbst, vom Umgang mit der Erinnerung und der Selbstvergessenheit der Liebe erzählt. Unterbrochen wird diese Erzählung immer wieder durch den Chor der Toten, die nach altem Volksglauben an Allerseelen die Lebenden aufsuchen und sich einmischen.

Eure Fähigkeit, in der Zeit zu existieren, ist gering, eure Fähigkeit, in der Zeit zu denken, unerschöpflich, Lichtjahre, Menschenjahre, Polybius, Urraca, die Surveyor-Sonde, ein Knochen aus der Vorgeschichte, Linien, eine vierdimensionale räumliche Figur, so sind diese Fünf miteinander verbunden, ein Sternbild, das sich wieder auflösen wird, jetzt freilich noch nicht...

Die behutsam erzählte Liebesgeschichte zwischen Arthur und der jungen Geschichtsstudentin Elik steht nicht im Mittelpunkt, treibt aber die Handlung voran und bündelt in sich alle angeschlagenen Themen: die Flüchtigkeit, die Namenlosigkeit, unsere Verlorenheit, Ablagerungen, die Brüche in unserem Leben und die Verletzungen, Zeit und Ewigkeit.

Allerseelen ist ein anspruchsvoller, vielschichtiger Roman in dem Arthur Daane das Verschwindende mit seiner Kamera festzuhalten versucht, um sich selbst zu bewahren. Es ist ein philosophisches Buch und setzt eine gewisse Allgemeinbildung voraus. Genau das aber hebt den Roman aus der alljährlichen Flut von Büchern heraus und wird ihn vielleicht zu einem Klassiker machen. Man kann diese Herausforderung annehmen – es gibt ja schließlich Lexika und die Google-Suchmaschine – oder man greift zu leichterer Lektüre.

© Elke Tegtmeyer 2006


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