Anne Perry:
Nebel über der Themse Heyne Verlag
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Man schreibt das London im Jahre 1891, als Oberinspektor Thomas Pitt und Sergeant Tellman den mysteriösen Mord an einem bekannten Fotographen aufklären müssen. Seine Leiche wird in einer zweideutigen Stellung in einem Boot auf der Themse gefunden. Im Laufe seiner Ermittlungen kommt Pitt dabei einem ungewöhnlichen Skandal auf die Spur. Und mit Hilfe seiner Frau Charlotte kann er auch aufklären, unter welchen Umständen ein Mitarbeiter der französischen Botschaft verschwindet. Lug und Trug, Intrigen und Geheimnisse verwirren Pitt, wenn man der Inhaltsangabe auch dem Buchdeckel Glauben schenkt.
Nun ja. Auf dem Buchdeckel wird das Buch als Roman angekündigt. Diese Genrebezeichnung ist auch wirklich berechtigt. Die Bezeichnung "Krimi" wäre hier auch nicht unbedingt angebracht. Die Aufklärung des Mordfalles tritt hier eindeutig in den Hintergrund. Die Beschreibung gesellschaftlicher Zusammenhänge, die emanzipatorischen und feministischen Bestrebungen jener Zeit treten hier eindeutig in den Vordergrund. Und erschweren jedem Krimi-Liebhaber das Lesen. Die Aufklärung des Mordfalles ist relativ einfach. Sie gelingt dem Detektiv daher auch ziemlich schnell. Der Krimi hätte daher auch auf etwa einem Viertel des vorliegenden Umfangs beschrieben werden können. Dann wäre der Rest überflüssiger Ballast. Oder das Buch wäre ein historischer Roman, der die Zustände am Ende des 19. Jahrhunderts beschreiben möchte. Dann wäre eindeutig der Krimi unnütz. Ganz egal, wie man es auch dreht - das Buch weist überflüssige Längen auf. Gut lesbar ist das Buch geschrieben. Es ist flüssig lesbar.
Was bleibt? Nicht viel. Der Krimi ist eher durchschnittlich. Wer das Ende genauer liest, wird hier unter dem Mantel der Historie banale und allzu menschliche Motive für den Mord entdecken. Hass, Liebe, Eifersucht, aber auch Habgier und Raffsucht sind allzu menschliche und häufige Antriebsfedern für eine Gewalttat. Sie kommen auch hier vor. Und der Gesellschaftsroman, der hier geschrieben wird? Keine Ahnung, wie typisch er für das ausgehende 19. Jahrhundert ist. Wie groß war denn die Unmündigkeit der Frauen? Waren sie nur formal-rechtlich unmündig oder galten sie tatsächlich auch als beschützenswerte Subjekte, die von ihren treu sorgenden Ehemännern vor den Widrigkeiten des Alltags bewahrt werden mussten? Keine Ahnung. Das können Historiker besser beurteilen. Die Sprache erreicht hier eine Schwülstigkeit, die ein wenig abschreckt. Worte wie "Gefühle" werden zwar häufig benutzt; genauer erklärt werden sie aber nicht unbedingt. An diesen Stellen erinnert der Roman an das Gerede der Sportreporter der heutigen Zeit. Diese Sportreporter reden zwar häufig von "Emotionen pur", wenn sie von einem Sportereignis berichten; Zusammenhänge erklären sie aber nicht.
Man muss also schon ein gewisses Faible für historische Romane besitzen, um diese Art des Kriminalromans zu mögen.
© Andreas Rüdig 2007
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