Leseprobe aus Hilke Rosenbooms: Adam und ewig
Susan gab ihren Platz an der Eingangstür auf und ließ sich ins Innere des Kaufhauses treiben. Die Rolltreppe hinauf in die Damenabteilung. Junge Mode. Ihr Puls raste. Lauter Menschen, die etwas vorhatten. Sie fühlte sich beobachtet. Zwei halbwüchsige Mädchen sahen ihr nach und kicherten. Sie blieb vor einem Ständer mit schwarzen Jeans stehen, blätterte unentschlossen zwischen den verschiedenen Größen hin und her wie in einer Zeitschrift, die sie nicht interessierte. Einfach irgend etwas tun. Sich verhalten wie jemand der zufällig nach neuen Klamotten Ausschau hält. Nicht wie jemand, der vergessen worden ist. Alles einfach auslöschen. Sie nahm eine der Hosen von der Stange und ging damit zu den Umkleidekabinen. Die moosgrün gekleidete junge Verkäuferin hob die Brauen und drückte ihr eine Tafel mit der Nummer eins in die Hand. Susan drängte sich an den jungen Typen vorbei, die wie Dobermänner vor den Kabinen ihrer Freundinnen standen und über die Klapptüren hinweg ihre Kommentare abgaben.
Der Spiegel in der Kabine war hoch und schmal, so dass alle Frauen darin hoch und schmal aussahen und so, als sei es hier nicht eng. Es gab keinen Hocker und keine Haken. Als Susan sich bückte, um die Stiefel von den Füßen zu streifen, stieß sie mit dem Hintern die beiden Klapptüren auf. Der Mantel klemmte sich ein. Sie zog ihn wieder heraus. Von irgendwo her kam Gelächter. Sie öffnete den Mantel, ohne ihn ganz auszuziehen, streifte Dodos enge Hose ab, ließ sie auf den Boden gleiten und schlüpfte in die neuen Jeans. Sie passten genau. Sie zog die Stiefel wieder an. Sie sah gut aus. Fremd. Und unglücklich.
Jemand schien von außen gegen die Türen zu stoßen. Eine flinke, warme Hand in der Nähe ihrer Hand. In ihrer Manteltasche. Susan fuhr herum. Der Dieb hatte sich schon abgewendet. Er trug ein Tweedjackett. Er ging zwei Schritte, spazierte an der Verkäuferin vorbei, die ihn anlächelte, dann fiel er in Laufschritt. Meine Brieftasche! Er hat meine Brieftasche geklaut! Die anderen Kunden blickten interessiert. Die Verkäuferin grinste. Das war zuviel.
Susan sprang hervor und nahm die Verfolgung auf. Keine Demut mehr. Sie schrie. "Er hat meine Brieftasche geklaut!"
"He, Süße, bleiben Sie mal stehen!" gellte die Verkäuferin und versuchte Susan am Ärmel zu packen. Mit einer einzigen heftigen Bewegung riss Susan sich los.
"Haltet sie fest! Sie hat eine Hose geklaut!"
"Er hat meine Brieftasche!" Susan rannte ihm nach.
Der Dieb rempelte eine Gruppe von Jugendlichen an und hetzte in Richtung Rolltreppe. Die Jugendlichen glotzten und machten Platz für Susan. Der Mann war rücksichtslos. Susan war schnell.
Er nahm die Rolltreppe mit langen Sätzen. Susan tobte ihm nach. Ihr langer Mantel schlug wie ein Flügel nach den zurückweichenden Augenzeugen. Ein kleiner Junge rief: "Guck mal. Sie hat eine Hose geklaut, da hängt noch der Magnetblock dran."
Der Dieb scheint sich auszukennen. Noch zwanzig Meter bis zum Ausgang. Noch zehn. Er blickte sich nicht ein einziges Mal um. Susan war so schnell wie noch niemals zuvor. Gleich hatte sie ihn. Sie würde ihn schlagen. Ihn und all die anderen, die sich einbildeten, mit ihr könne man alles machen. Versetzt, beklaut und ausgelacht. Nie wieder. Gleich würde etwas Unglaubliches passieren. Noch zwei Verkaufstische mit Strümpfen und Plastikschalen. Noch einer. Noch vier Meter. Der Dieb war draußen. Susan auch.
"Uuiiiiihh", heulte die Alarmanlage an der Tür. Das konnte der Dieb nicht erwartet haben. Mitten im Sprung hielt er inne und blickte sich verblüfft um. Susan erstarrte.
"Das glaub ich nicht", rief Adam.
"Du?" hauchte Susan tonlos.
"Das halt ich nicht aus!" sagte er. "Ich hab dich wirklich nicht erkannt. Hepp, fang auf! Die brauchst du gleich."
Er warf ihr die Brieftasche zu. Susan fing sie auf. Im gleichen Moment schlossen sich zwei eiserne Hände um ihre Oberarme. Der Kaufhausdetektiv triumphierte. "So, junge Frau. Die berühmte Doppeldiebnummer. Wenn Sie jetzt bitte mitkommen wollen in unser Büro." Mit einem langen Fingernagel an einem langen dünnen Finger zeigte er auf Adam. "Und den Komplizen schnappen wir das nächste Mal. Komm nur wieder in mein Kaufhaus, Bürschchen, dann hab ich dich. Ist ein ganz alter Trick. Bei mir kommt damit keiner durch."
Immer mehr Kunden blieben stehen und betrachteten die Szene, ohne irgend etwas zu verstehen. Susan sah nichts. Susan sah Adam, Adam sah Susan. Du siehst ganz anders aus als sonst, sagten seine Augen. Du auch, dachte Susan. Aber das Jackett steht dir gut.
"Ich warte draußen auf dich. Ich hab die ganze Zeit gewartet. War wohl nicht der richtige Eingang." Adam hob kurz die Hand. "Ich hau jetzt lieber ab." Dann drehte er sich um und lief weg.
Der Kaufhausdetektiv rüttelte an Susans Arm. "Wenn Ihnen das lieber ist, hol ich jetzt die Polizei."
Susan schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
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