Bernhard Schlink - Liebesfluchten - Rezension Lettern.de

Bernhard Schlink - Liebesfluchten

Diogenes Verlag 
Hardcover,
320 Seiten 
19,90 € 
ISBN 3-257-06230-3
Hörbuch: 3-934-12058-X

 

Dieses Buch neu bestellen  <- gebraucht suchen


Ein 55-jähriger, in Berlin lebender Jurist, ist der zur Zeit international erfolgreichste Autor. Nach einigen interessanten Krimis, legte Bernhard Schlink 1995 den Roman Der Vorleser vor, der ein Welterfolg wurde. Es erreichte als erstes deutsches Buch Platz Eins der Bestseller-Liste der New York Times und wurde in 25 Sprachen übersetzt.

Die Liebesgeschichte eines jungen Mannes zu einer viel älteren Frau, der er vorliest, weil sie nicht lesen kann, und deren schreckliche Vergangenheit sich erst später herausstellt, wird demnächst von Hollywood-Regisseur Minghello ("Der Englische Patient") verfilmt.

Schlinks neuestes Buch trägt den Titel Liebesfluchten und enthält sieben sehr verschiedene, zum Großteil sehr bemerkenswerte Erzählungen. Helden dieser Geschichten sind diesmal überwiegend keine unerfahrenen, leicht verführbaren Jungen, sondern größtenteils Männer, die scheinbar mit beiden Beinen im Leben stehen. Beruflich erfolgreich und meist mit Familie gesegnet. Doch die Monotonie wird erdrückend, nur durch Flucht (durch "Liebesflucht"?) kann man sich ihr entziehen.

Da gibt es die Geschichte, in der ein Mann seine Frau, mit der er fast 25 Jahre verheiratet ist, auf der gemeinsamen Amerikareise bittet, den Kofferraum zu öffnen, damit er alleine weiterziehen kann, gerade zu einem Zeitpunkt, als die Ehe neu belebt scheint. Da gibt es den Doktoranten, der sich in New York in eine Jüdin verliebt, fasziniert von einer fremden Welt, aber auch abgestoßen von einem kaum spürbaren Misstrauen, dass ihm als Deutschen entgegenschlägt. Bis er schließlich bereit ist, alles für die Liebe zu tun - leider merkt sie es nicht.

Eine weitere Geschichte greift die Nazi-Vergangenheit auf. Durch die Liebe zu einem Bild wird der Protagonist der Erzählung "Das Mädchen mit der Eidechse", angestachelt, die düstere Vergangenheit seines Vaters aufzudecken.

Doch diese Thematik tritt eigentlich in den Hintergrund, die menschlichen Beziehungen und Gefühle sind es, die Schlink interessieren. Dabei spielt er ein emotionales Feuerwerk ab, das, leise zwar, aber doch kraftvoll, alle Facetten des Gefühlsspektrums aufzeigt, mal munter und lustig, mal tief traurig und bewegend. Vielleicht ist an der einen oder anderen Stelle ein Klischee zu stark, trotzdem überwiegt der hervorragende Gesamteindruck.

Die gelungenste der Erzählungen trägt den Titel "Der Andere". Nach dem Tod seiner Frau erhält die männliche Hauptperson hier einen an seine Frau adressierten Brief von einem ehemaligen Liebhaber, der nichts von ihrem Tod weiß und die Beziehung wieder auffrischen möchte. Zunächst mehr zufällig, dann immer bewusster und ruheloser sucht der Witwer nun die Nähe zu seinem ehemaligen Nebenbuhler und lernt, als er in diesem einen Versager und Angeber findet, viel über seine Frau - und noch mehr über sich.

Was bei allen Geschichten am Ende bleibt ist Gewissheit. Manchmal tut sie weh, aber nach der unruhigen Suche, ist man am Ziel angelangt und kann bewegt die Augen schließen.

© Till Weingärtner 2000


Aktuelle Kinderbuch-Rezensionen
Aktuelle Rezensionen
Aktuelle Hörbuch-Rezensionen
Rezensionen von A-Z
Rezensionen nach Genre

Rezensionen von lettern.de