Martin Crzu Smith - Stalins Geist - Rezension Lettern.de Martin Cruz Smith - Stalins Geist

Bertelsmann Verlag
Hardcover
, 368 Seiten
19
,95 €
ISBN: 3-570-00919-X

 

Dieses Buch neu bestellen           gebraucht suchen


Die Krimireihe mit Arkadi Renko.

1981 veröffentlichte ein Journalist und Westernschriftsteller einen Politthriller, der sofort ein neues Motto ins Genre brachte, bald passend zur Rockmusik ("Russians love their children too!"). Die neue Mode hieß "Homo sovieticus als Konsumgut" und der Schriftsteller, der mit dem Buch Gorki Park finanziell unabhängig wurde, hatte ein Problem am Hals. Und das hieß und heißt Arkadi Renko.

Diese literarische Figur, der Moskauer Kriminalist Arkadi Renko, ist magisch. Als 1983 William Hurt die Hauptrolle in der Verfilmung von „Gorki Park“ übernahm, hatte Arkadi Renko kurzzeitig ein echtes Gesicht, was der Schriftsteller in den fünf folgenden Büchern zurück eroberte. Selbst gnadenlose Fans können nur stichpunktartig beschreiben, wie Arkadi aussieht, aber, wer die Bücher liest, weiß, der ist unverwechselbar. Meistens hat der Ermittler gewöhnlichere Kriminalfälle, die er aber den widrigen Verhältnissen und der eigenen Verzweiflung abringen muss. Diese Innenschau, mit der Ermittler (mit und ohne Befugnis) den Machthabern Trotz bietet, ist das Gesicht einer Figur, die eigentlich nur einen Zustand kennt, die Verzweiflung. Dass das authentisch wirkt und gnadenlos spannend bleibt, ist der starke Unterhaltungswert dieser Bücher.

So wird Arkadi Renko 2007 vom Staatsanwalt persönlich in die Moskauer Metro abgeschoben, wo er stilecht wie stets, Stalins geisterhafter Reinkarnation zuleibe rücken muss. Gleichzeitig schleift ihn sein Adoptivkind durch Moskaus Obdachlosigkeit, und seine neue Geliebte Eva setzt ihm Hörner auf.

Unrühmlich, aber ebenso interessant ist der Protz der neuen Schickeria, die aus den Verlusten der alten, originelle wie gefährliche Blüten treibt. So plagt sich Arkadi anfangs gleich mit dem Moskauer Heiratshandel, muss sich später gegen die Umschlingungen einer bildschönen Tänzerin wehren, und gerät letztlich unter russische Totengräber des vaterländischen Sieges, wo sein Vater, Stalins mörderischer General, ihm wieder einmal absurd nützlich ist.

Obwohl alle männlichen Haupthelden von Martin Cruz Smith ausnahmslos eine magische Aura besitzen, die Frauen leider schematischer sind, die Bücher neben verwicklungsreicher Spannung selbstvergessene Leser verzaubern, bleibt der Zweikampf des Schriftstellers mit Arkadi Renko eines der interessantesten Phänomene der Thrillerliteratur. Nach „Gorki Park“ sind alle anderen Bücher klarer. Schon in "Gorki Park" gibt es, als der sowjetrussische Held nach New York einfliegt, oder, vorher, als er verletzt im Krankenhaus liegt, literarisch glänzende Passagen, die psychologisch hinreißend sind. "Gorki Park" rückt die Elendsbeschreibungen des Sozialismus neben die jeder anderen Tyrannei der Welt, nicht wie man von einem Amerikaner erwarten dürfte, woanders hin, ideologisch nützlich. Bestehen lässt er auch sowjetische Besonderheiten. Das ist nicht nur mutig und lukrativ, sondern ist heute noch glaubwürdig kritisch gemeistert.

Wenn Helmut Krausser Politthriller-Maschinen wie Frederick Forsyth und deren Masche im Miniaturthriller "Nuntius und Anananas" auf den Punkt bringen kann (Band: Spielgeld, 1990), dürfte das mit der Renko-Reihe unnötig sein, weil Martin Cruz Smith bewusst darauf achtet, aus dem sozialen Kampf keinen Wettspiel zu machen. Das er es trotzdem schafft, den Leser völlig zu fesseln, ist doch selten, oder?

Alle seine Bücher haben Sogwirkung, wenn man so will, ist das Rezept prekär, denn es lockt mit Entertainment am sozialen Abgrund. Im Falle des Titelhelden, der 2007 zum sechsten Mal weiter bestehen musste, ist das der unerschöpfliche russische Sumpf. Arkadi Renko erhält diesmal bezeichnenderweise einen nicht nur symbolischen Kopfschuss.

Trotz aller ironischen Deutungsmöglichkeiten bleibt die Reihe bemerkenswert. Dass Politthriller den unerschütterlichen Ruf genauester Recherche haben, ist merkwürdig. Jede kleinste Sachforschung zeigt deutliche Pauschalisierungen. Allenfalls bewundernswert ist bei den Verfassern der Mut oder die bemerkenswerte Frechheit. In den nach „Gorki Park“ folgenden Büchern, schafft es Cruz Smith, auf der Höhe der Zeit und des Erfolges zu bleiben, während die Kronen der Thrillerwelt sonst ja stetig weiterwandern. So ist die Beschreibung der Menschen immer wichtiger als Zeitgeist und Lesererwartung. 1989 muss Arkadi Renko als strafversetzter Funktionär auf dem Trawler "Polar Star" Fische säubern. Spannender als der Kriminalfall, ist die literarische Wirklichkeit, die mit Lokalkolorit unzutreffend gekennzeichnet ist. Packend sind die zwei Seiten der Sowjetunion bearbeitet, die albtraumhaften Verhöre in einer Psychiatrie, oder eben die witzige Beschreibung eines anderen Helden der Sowjetunion, Wladimir Wyssozki.

In "Red Square" (Dt. Titel "Das Labyrinth", 1991) schickt der Schriftsteller seinen verhungerten Helden ins fette München, wo der ganz zu essen vergisst, sich aber angesichts der Kriminellen bald wieder zurecht findet.

Ganz skurril überrascht "Nacht in Havanna" ("Havanna Bay", 1999), in der Arkadi Renko, innerlich erfroren, in einem Wollmantel umher treibt. Das kubanische Fiasko wird mit Vollblutmenschen bebildert, der Kriminalfall dient dazu, Kuba zu zeigen, und Arkadi wieder nach mehr Luft schnappen zu lassen. Außerdem bekommt der Held eine Polizistin zur Seite, die ihm an Zähheit ebenbürtig ist.

"Wolves eats dogs" heißt in Deutsch plötzlich "Treue Genossen" (2004), was inhaltlich nicht so stichhaltig ist, wie alle Originaltitel. Martin Cruz Smith schickt uns nach Pripjat und Tschenobyl, und schafft es, Thrillerfreunde wie Realisten zufrieden zu stellen. Die Menschen, die er erfindet, kommen einem sehr nahe, sind oft zu quicklebendig. Wo das Leben es eigentlich nicht sein darf, da lässt der Schriftsteller den Leser genauer hingucken. Dabei gibt es nicht eine Zeile Mitleidsgejammer oder Moralpredigt, sondern atemberaubende Tapferkeit ganz einfacher Leute.

Die "Russenmacke" haben die deutschen Leser ja schon lange. Die seltsame Faszination der Albtraum-Sowjetunion, erst in Kriegsgeschichten mit nachträglicher "Rückeroberung" (siehe Konsalik im Westen), oder im Osten mit pädagogisch polierter Glorie (siehe z. B. Konstantin Simonow), sie scheint in diesen Thrillern weiterentwickelt worden zu sein. Aber auch die Bezeichnung "Thriller" ist eigentlich überzogen. Nervenkitzel ist ein Nebeneffekt. Man möchte Martin Cruz Smith das nette Kompliment machen, dass man nicht merkt, aus welchem Land er kommt. Die Sozialkritik ist bestechend, wird durchgehalten, Erlösung im effektvollen Finale gibt es davon nicht. Sozialkritische Megathriller?

Kostengünstig ist es jedenfalls , ja bildend, mit Arkadi Renko zu reisen. Ob als Kenner oder Neuling im neueinigen Russenreich, die Verschlagenheit, der Witz, Eigensinn und die Tiefgründigkeit zugleich machen diese Bücher schön, egal, wer der Mörder ist.

Diesmal, in "Stalins Geist", scheinen Gleichgültigkeit und Elend Arkadi Renko richtig erwischt zu haben, der sich noch notgedrungen durchboxt, aber zu gern seine Ruhe hat. Doch auch in diesem Buch gibt’s für des Helden Dauerdepressionen Quittungen, gut verpackt in Phrasen, speziell für die Pokerspieler der Macht. Ansonsten wird der einfühlsame Milizionär wieder erfolgreich auf seinen Weg von intellektueller Ignoranz in halsbrecherische Neugierde geschickt...

Arkadi Renko, von übler Armut und Willkür dressiert, besitzt einen leisen Stolz, der ebenso düster wie makaber lustig, ihn absolut unbestechlich macht. Aus mangelnder Lebensfreude, ist er weder erpressbar, noch irgendwie anders dem Luxus erlegen. Der Leser folgt Arkadi, wie einer Kamera, wenn er geistreich vorsichtig oder zufällig unbedacht dem Unrecht im Weg ist. Nur der Leser sieht Arkadis heimlichen moralischen Starrsinn, der ihm selbst mehr Probleme als Nutzen bringt. Schockierende Wahrheiten und menschliche Tapferkeit gleichermaßen stilistisch gekonnt zu inszenieren bleibt das schriftstellerische Geheimrezept. Bis 2009 abstinent zu warten ist für die Leseratten hart, denn zufällig lockt noch ein anderer Smith mit Sowjetkrimi im Büchertempel.

© Chris Quardokus 2008


Aktuelle Kinderbuch-Rezensionen
Aktuelle Rezensionen
Aktuelle Hörbuch-Rezensionen
Rezensionen von A-Z
Rezensionen nach Genre

Rezensionen von lettern.de