Herbørg Wassmo:  Zwischen zwei Atemzügen - Rezension Literaturmagazin Lettern.de Herbørg Wassmo:  Zwischen zwei Atemzügen

Droemer/Knaur Verlag
Hardcover
, 424 Seiten
Übersetzung: Gabriele Haefs
19
,95 €
ISBN: 3-426-19803-7

 

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Wenn man so unbedarft an ein Buch herangeht, dass man nicht einmal den Klappentext liest, könnte zunächst der Eindruck entstehen, der Roman würde in den 70er-Jahren spielen. Eine Familie ist von Russland in ein kleines litauisches Dorf gezogen. Seit dem Tod des Vaters lebt die russisch-orthodoxe, streng gläubige Mutter mit ihren beiden Töchtern Dorte und Vera in großer Armut. Mehr geduldet als geliebt, haben sie Unterschlupf bei dem jüdischen Onkel des verstorbenen Vaters gefunden. Ob sie bleiben dürfen, ist allerdings ungewiss.

Durch Nicolai, den Sohn des Bäckers, lernt die fünfzehnjährige Dorte ein Mädchen namens Nadia kennen, die ihr vom Leben in Stockholm vorschwärmt und vorgibt, ihr dort einen Job als Kellnerin besorgen zu können. Die Verlockung, Geld verdienen zu können und auf diese Weise ihre Mutter zu unterstützen, ist groß, und nach längerem Zögern lässt Dorte sich darauf ein, heimlich nach Schweden zu reisen. "Hier musst du drei oder vier Jahre arbeiten, um so viel zu verdienen. Nach drei Monaten bist du reich und kannst nach Hause fahren und deiner Mutter ein Haus kaufen", erklärt Nadia, die wissentlich oder unwissentlich als Lockvogel fungiert.

Die beiden Männer, die Dorte mit einem kleinen grauen Audi abholen, sind dem jungen Mädchen vom ersten Augenblick an wenig geheuer. Sie will aussteigen, zumal Nadia nicht – wie versprochen – im Auto sitzt, aber ihre Gefangenschaft hat bereits begonnen. Richtige Angst bekommt sie, als sie ihr erstes Ziel erreichen: Ein Haus, bewacht von einem laut bellenden, gefährlich aussehenden Hund, in dem bereits mehrere Männer auf sie warten. Außer Dorte sind zwei weitere Mädchen anwesend – und die nächsten zwanzig Seiten sind für empfindliche Gemüter ganz und gar ungeeignet, weil sie von einer ungeheuerlichen Brutalität sind. Von nun an wird/muss/will der Leser Dorte auf ihrer entsetzlichen Odyssee begleiten.

Die skrupellosen Mädchenhändler verkaufen die – durch die vielen Vergewaltigungen massiv verletzte – Fünfzehnjährige rasch weiter. Tom, ihr "neuer Besitzer", verhält sich nicht ganz so brutal, an manchen Stellen scheint er sogar menschliche Gefühle für das Mädchen zu entwickeln, dennoch setzt er Dortes Jugend und Attraktivität gezielt ein, um Geld mit ihr zu verdienen. Eingesperrt in einem Apartment irgendwo in Norwegen, muss sie vielen Freiern zu Diensten sein. Dorte schämt sich zutiefst – und Herbjørg Wassmo gelingt es, den Leser auf eine einzigartige Weise an ihrem einsamen, traurigen und zutiefst bedrückenden Schicksal teilhaben zu lassen. Nach einer Weile fliegt Tom auf und Dorte flieht, aber ihr fehlen die 7000 Euro für die Heimreise, und wiederum ist es die Scham, die verhindert, dass sie sich Hilfe sucht. Hunger und Hilflosigkeit führen dazu, dass sie sich erneut prostituieren muss. Per Zufall gerät sie an Arthur, dem sie wenig später aufgrund ihrer Schwangerschaft nach Oslo folgt. Aber die kleine Hoffnung, dass nun alles besser wird, ist trügerisch...

Die schrecklichen Erlebnisse des jungen Mädchens mit Freiern, ihre Begegnungen mit anderen Prostituierten und Mädchenhändlern beschreibt Herbjørg Wassmo mit massiver Eindringlichkeit – und von der negativen Anziehungskraft geht ein gewisser Sog aus, der es schwer macht, den Roman aus der Hand zu legen. Ein wenig durchatmen kann der Leser eigentlich nur in den – im Verlauf der Geschichte zahlreicher werdenden – Passagen, in denen Dorte sich an ihre Vergangenheit in Russland und Litauen erinnert, in denen sie träumt oder im Dialog mit ihrem verstorbenen Vater steht.

© Heide John 2009


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