Kjell Westö: Wo wir einst gingen - Rezension Literaturmagazin Lettern.de Kjell Westö: Wo wir einst gingen

btb Verlag
Übersetzung: Paul Berf
Taschenbuch
, 656 Seiten
11
,95 €
ISBN: 3-442-74098-3

 

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Menschen auf Straßen und Lebenspfaden

In dem monumentalen Roman "Wo wir einst gingen" entwirft der Finne Kjell Westö nicht nur ein Panorama der Großstadt Helsinki, sondern auch der finnischen Geschichte und Gesellschaft. Für diesen Roman erhielt er auch den finnischen Literaturpreis.

Im Laufe des Buches werden die Lebensstränge von verschiedenen Personen in Helsinki Anfang des 20. Jahrhunderts verfolgt. Da ist zum einen die Dienstmagd Vivan, die ungewollt schwanger wird und daraufhin die Stelle verliert. Ihr Sohn Allu wird später das rebellische und unstete Wesen seines Vaters erben. Der sensible Fotograf Eccu, die frivole Lucie, der faschistische Cedi sind weitere Personen unter vielen, die einen Spiegel der Gesellschaft und der Stadt schaffen.

Das Buch besticht durch so manche schöne Formulierungen. So wird eine Schwangere etwa als "vorderlastig" bezeichnet. Aber für so einen dicken Roman wird erstaunlich viel recht schnell abgehandelt. Anstatt die Handlung oder Charakterisierungen ausführlicher zu behandeln, wird eher beschrieben, wie die gelbe Mütze aussah oder wie der Rauch aus den Schornsteinen kam. Das Lesen gestaltet sich auch insofern recht zäh, da kaum Dialog vorkommt. Nahezu alles geschieht in indirekter Rede und es schichten sich die Sätze somit auf. Verschachtelte Sätze spiegeln zwar gut die Vielschichtigkeit der Stadt wieder, aber die Sätze türmen sich geradezu aufeinander. Sie bilden einen Stau und der Leser fragt sich, wann es wohl weiter geht. Es ist insofern tragisch, da sich Westö wirklich allzu oft in Details verliert und lieber aufzählt, wer sich alles in einem Raum befindet, anstatt dort einen wesentlichen Handlungsaspekt wie das Drucken von einer sozialistischen Zeitung und deren Bedeutung zu beleuchten. Auch durch die vielen und zugleich fremd klingenden Namen wäre ein Register der Personen wünschenswert gewesen. Dialoge hätten den Stau immerhin zu einem zähflüssigen Verkehr werden lassen.

Die vielen Bezüge auf historische Begebenheiten unterliegen dem Winterhimmel. Dass gerade Krieg ist, wird eher erwähnt. Und anstatt auf die Folgen einzugehen, wird ausführlich der Winterhimmel beschrieben. Zum Nachteil des Lesers, der sich eventuell nicht so ganz mit der finnischen Geschichte auskennt, sind viele Anspielungen und Verweise nicht verständlich. Und obwohl viele Charaktere in dem Buch sozialistisch eingestellt sind, wird die Relevanz nicht deutlich genug gemacht. Die Klassenunterschiede versanden und werden viel zu oberflächlich geschildert. Nach einem sehr zähen Anfang wird das Buch zwar etwas flüssiger zu lesen, aber man braucht viel Geduld und vielleicht lange dunkle Winternächte dafür.

Ein Roman prall wie das Leben, aber manchmal ebenso schwer zu durchschauen und zu überblicken. Und Westö ist allzu oft allzu sprachverliebt und verliert die Handlung aus den Augen.

© Jons Marek Schiemann 2010


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