Norbert Zähringer: Einer von vielen Rowohlt Verlag
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Globale Gemeinschaft des Schicksals
In Norbert Zähringers fulminantem Roman "Einer von vielen" wird auf kreative Weise bestätigt, das eine Person über ungefähr fünf andere jeden Menschen auf dem Planeten kennt.
Am 1. September 1923 wird durch ein Erdbeben Tokyo zerstört. Im selben Moment wird in Kalifornien Edison Frimm, auch während eines Erdbebens, geboren. In Berlin wird Siegfried Heinze geboren, der noch am selben Abend Halbwaise wird. Edison wächst in einem Vorläufer der späteren Kommunen auf, Siegfried ganz unter dem Einfluss eines Bildes von Adolf Hitler. Nachdem Edison und seine Mutter in Los Angeles gelandet sind, bekommt er kleine Rollen beim Film und wird durch diese Tätigkeit auch während des Zweiten Weltkrieges nach Berlin verschlagen, wo er unter unglücklichen Umständen auch Siegfried Heinze trifft. Der Kommissar, der die Ermordung von Siggis Vater untersuchte, ist mittlerweile überzeugt, es mit einem Serienmörder zu tun zu haben und jagt während all der Jahre diesen Mörder.
Es ist einigermaßen undankbar, den Inhalt dieses sehr komplexen Romans wiederzugeben. Nicht nur wird das Leben von den beiden konträren Charakteren Edison und Siegfried geschildert, sondern auch das vieler Nebenfiguren, wie das des Kommissars Mausers und das eines japanischen Polizisten, der das Erdbeben überlebte und zu Edisons Lehrer wird. Eine weitere zentrale Rolle, indem er mehrere Charaktere verknüpft, spielt Bebo. In den Wirren der letzten Tage der Weimarer Republik kann er mit Hilfe Kommissar Mausers fliehen, gerät nach Amerika, trifft dort zufällig einige weitere Nebenfiguren und wird schließlich im Krieg ein Kamerad Edisons und ein Feind Siegfrieds. Auch wenn das alles sehr verwirrend klingen mag, schafft es Zähringer mit wilden Saltos auch scheinbare Zufälle glaubwürdig zu machen, zum Beispiel wechselt er die Handlungsebene geschickt, indem er zwei verschiedene Leute auf zwei verschiedenen Kontinenten denselben Hollywoodfilm sehen lässt. Das Erdbeben verknüpft gleich zu Beginn das Schicksal des japanischen Polizisten Koga und das von Edison, der auch während eines Erdbebens geboren wird. Zu keinem Zeitpunkt gerät der Leser in Verwirrung. Dafür ist der Roman einfach sehr spannend in einer klaren schönen Sprache geschrieben. Zudem sorgen die stellenweisen obskuren Gegebenheiten und der Witz dafür, dass man das Buch verschlingt.
Sehr gut gemacht ist das Grauen des Holocausts, das jeden sprachlos macht. Zähringer schildert es nicht, sondern macht die Sprachlosigkeit deutlich, indem er einfach den Satzspiegel auf Seite 348 unterbricht und nichts vorhanden ist. Bravo.
Besonders schön kann man das Betrachten von Flugzeugen am Himmel auf Seite 469 mit den Leben verschiedener Menschen vergleichen: "Immer mehr Spuren kamen dazu, manche breit, manche pfeilschmal, manche glitzernd und sich auflösend im Sonnenlicht. Manche überschnitten sich, manche beschrieben ausladende Kurven, andere liefen parallel nebeneinanderher und begegneten sich in der Unendlichkeit." Über fünf oder sechs Ecken, kennt nun mal jeder jeden auf der Welt.
Ein Buch wie das Leben: Dramatisch, banal, konfus, übersichtlich, Liebe, Tod, Abenteuer, Feigheit, Schicksal und eigenes Handeln widerstreiten sich.
© Jons Marek Schiemann 2010
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