Rahel Sanzara

Der Name Rahel Sanzara lässt sich nur mit ihrem wichtigsten Buch Das verlorene Kind verbinden. 1926 bildete dieses Buch das literarische Ereignis des Jahres. Die Geschichte, die davon berichtet, wie eine heile Welt durch den Tod eines Kindes zerbricht, wurde von prominenten Zeitgenossen wie Carl Zuckmayer oder Gottfried Benn in den höchsten Tönen gelobt. Albert Ehrenstein sagte: "'Das verlorene Kind' scheint mir das beste Prosawerk zu sein, das von einer deutschen Dichterin während der letzten Jahrhunderte geschrieben wurde... Das Buch ist nämlich, auf der ethischen Höhe eines Tolstois, eine sprachlich vollkommene Meisterleistung..."

Bei den Nazis fiel das Buch vor allem wegen des Namens seiner Verfasserin in Ungnade, die in Rahel Sanzara eine Jüdin vermuteten. Doch Rahel Sanzara war nur der Künstlername einer Frau, die in Wahrheit Johanna Blaschke hieß.

Der Lebensweg der 1894 in Jena geborenen Schriftstellerin ist verknüpft mit dem ihres engen Freundes, dem Schriftsteller Ernst Weiß. Nach dem Besuch der Handelsschule erhält Sanzara 1912 in Berlin ihre erste Arbeitsstelle. Hier lernt sie den zwölf Jahre älteren Ernst Weiß kennen, der zu diesem Zeitpunkt selbst am Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn steht. Ein interessantes Portrait der Freundschaft liefert uns Franz Kafka, der das Paar, mehr unfreiwillig als geplant, auf einer Reise begleitet, in seinen Tagebüchern. Für Kafka war diese Reise kein Spaß. Die Streitereien der beiden eigenwilligen Charaktere Weiß und Sanzara sind so belastend für ihn, dass er sogar an Abreise denkt.

Noch während dieser gemeinsamen Reise beginnt der Erste Weltkrieg. Ernst Weiß begibt sich sofort zu seinem Regiment nach Linz, begleitet von Rahel Sanzara. Während des Krieges lässt sich Sanzara zur Tänzerin ausbilden, schon bald arbeitet sie mit großem Erfolg in diesem Beruf. In dieser Zeit entsteht auch ihr Künstlername Rahel Sanzara. Rahel war eine Reverenz an ihre jüdischen Freunde, Sanzara ist eine Weiterbildung des Sanskritwortes Sanzara, das den Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt bezeichnet.

Nach 1918 beginnt Sanzaras Karriere als Schauspielerin. Sie gibt 1919 mit großem Erfolg ihr Debüt in der Hauptrolle im russischen Revolutionsdrama "Tanja". Ihre Bühnenlaufbahn umfasst große Rollen wie Maria Stuart und Hauptrollen in Stücken von Wedekind, Hamsun oder Sternheim. Ihre Karriere endete mit einem Misserfolg. Vergeblich wurde versucht, den Erfolg von 1919 mit Tanja zu wiederholen. 1924 fallen Stück und Schauspielerin bei Kritik und Publikum gnadenlos durch.

Vermutlich durch den Schock über das plötzliche Ende ihrer Schauspielkarriere beginnt Sanzara mit dem Schreiben. 1926 erscheint mit großem Erfolg das bereits erwähnte Das verlorene Kind.

Die beiden anderen Werke Sanzaras sind völlig in Vergessenheit geraten. Noch während der Nazi-Diktatur erschien ihr zweites Buch Die glückliche Hand in der Schweiz, ohne großen Erfolg. Die Hochzeit der Armen wurde nach dem Krieg von keinem Verlag veröffentlich und gilt heute als verschollen.
Rahel Sanzara konnte sich, bereits von Krankheit und Enttäuschungen gezeichnet, nicht entschließen, Ernst Weiß ins Exil zu folgen, auch wenn sie das Nazi-Regime in Briefen ablehnte und das damit verbundene Verhängnis begriff. Rahel Sanzara starb am 8. Februar 1936 in Berlin an Krebs.

(c)  Till Weingärtner


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