Zitate zu Goethe


Friedrich Nietzsche

Goethe gehört in eine höhere Gattung von Literaturen, als "Nationalliteraturen" sind: deshalb steht er auch zu seiner Nation weder im Verhältnis des Lebens, noch des Neuseins, noch des Veraltens. Nur für wenige hat er gelebt und lebt er noch: für die meisten ist er nichts als eine Fanfare der Eitelkeit, welche man von Zeit zu Zeit über die deutsche Grenze hinüber bläst. Goethe, nicht nur ein guter und großer Mensch, sondern eine Kultur - Goethe ist in der Geschichte der Deutschen ein Zwischenfall ohne Folgen. (Menschliches, Allzumenschliches. 1886)


Hugo von Hofmannsthal

Goethes gedenken? Wie, bedarfs dazu
Besondern Tages? Braucht es da ein Fest?
Sein zu gedenken, der aus seinem Bann
Nie unsern Geist, nie unsre Brust entlässt!
Die Männer und die Frauen unsrer Zeit,
Wie haben sie von ihm gelernt zu lieben:
Wie dürftig wäre diese Welt geblieben,
Hätt er sie nicht im voraus uns geweiht!
(Prolog zu einer Gedächtnisfeier für Goethe am Burgtheater zu Wien, den 8. Oktober 1899)


José Ortega y Gasset

Es ist fast lächerlich, wie Goethe missverstanden wurde. Dieser Mann hat sein Leben damit verbracht, sich selbst zu suchen oder zu meiden - eine Haltung, die der Sorge um die genaue Verwirklichung seiner selbst polar entgegengesetzt ist. Denn das Letzte setzt voraus, dass kein Zweifel darüber besteht, was man ist, oder dass, wenn dies einmal ermittelt ist, das Individuum zu seiner Selbstverwirklichung entschlossen ist; dann mag die Aufmerksamkeit mit Ruhe bei den Einzelheiten der Ausführung verweilen.

(Um einen Goethe von innen bittend. 1932)


Albert Schweizer

Goethe ist der Erste, der etwas wie Angst um den Menschen erlebt. In einer Zeit, in der die andern noch unbefangen sind, dämmert ihm, dass das große Problem, um das es in der kommenden Entwicklung gehen wird, dieses sein wird, wie sich der Einzelne gegen die Vielheit zu behaupten vermöge.

In dieser ahnenden Angst, die er in sich herumträgt und die hinter so manchem polternden Worte steht, das ihm den Vorwurf, reaktionär zu sein und die Zeichen der Zeit nicht zu verstehen, eingetragen hat, ist auch Angst um sein Volk. Er weiß, dass kein Volk sich so wider seine Natur vergeht, wenn die, die ihm angehören, sich ihrer geistigen Selbständigkeit begeben, wie das seine, sein Volk, das er mit so scheuem Stolze liebt. Weiß er doch, dass die tiefe Naturverbundenheit, die Geistigkeit und das Bedürfnis nach geistiger Selbständigkeit, die sein Wesen ausmachen, Kundgebungen der Seele seines Volkes in ihm sind.

Und nun, hundert Jahre nach seinem Tode, steht es so, dass durch die Gewalt der Ereignisse und die Einwirkung einer durch sie bestimmten unheilvollen materiellen Entwicklung auf das Wirtschaftliche, das Soziale und das Geistige allenthalben die materielle und die geistige Selbstständigkeit der einzelnen, soweit sie nicht schon vernichtet wurden, in schwerster Weise bedroht sind. Des Hinscheidens Goethes gedenken wir in der gewaltigsten Schicksalsstunde, die je für die Menschheit geschlagen hat. In dieser Schicksalsstunde zu uns zu reden, ist er berufen wie kein anderer Dichter oder Denker. Als der Unzeitgemäßeste schaut er in unsere Zeit hinein, weil er mit dem Geiste, in dem sie lebt, so gar nichts gemein hat. Als der Zeitgemäßeste rät er ihr, weil er ihr das, was ihr Not tut, zu sagen hat.

(Goethe-Gedenkrede, gehalten bei der Feier der hundertsten Wiederkehr seines Todestags in seiner Vaterstadt Frankfurt am 22. März 1932)


Thomas Mann

Was wir von Vorstellungen von Harmonie, glücklicher Ausgewogenheit und Klassizität mit Goethes Namen verbinden, war nichts leichthin Gegebenes, sondern eine gewaltige Leistung, das Werk von Charakterkräften, durch welche dämonisch-gefährliche und möglicherweise zerstörerische Anlagen überwunden, genützt, verklärt, versittlicht wurden, zum Guten und Lebensdienlichen gewendet und gezwungen. Und doch bleibt immer viel Dämonisch-Dunkles, Übermenschlich-Unmenschliches, das den bloßen Humanitarier kalt und schreckhaft anweht, in dieser mächtigen Existenz, schon dank der polaren Spannung, in der sie schwebt, dem problematischen Reichtum an Gegensätzen und Widersprüchen, der die Quelle ihres Schöpfertums ist; dank der ungeheueren Dialektik seiner Natur, in der der höhnische Nihilismus des Mephistopheles dichterisch auseinander treten und einander die Wahrheit streitig machen.

(Ansprache im Goethejahr 1949)


Gottfried Benn

Von Homer bis Goethe ist eine Stunde, von Goethe bis heute vierundzwanzig Stunden, vierundzwanzig Stunden der Verwandlung, der Gefahren, denen nur der begegnen kann, der seine eigenen gesetzlichen Dinge betreibt. Mann hört jetzt oft die Frage nach einem "richtigen" Goethebild, das wird es nicht geben, man muss sich damit begnügen, dass hier etwas ins Strömen geraten ist, das verwirrt, nicht zu verstehen ist, aber an die Wüste gewordenen Ufer Keime streut -: das ist die Kunst.

(Doppellleben. 1950)


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