Die Helden der Hausfrau

Wir hatten erwartet, eine zierliche Zauberin in Schwarz vorzufinden. Aber Marion Zimmer Bradley trug großgeblümtes Hellblau, und es waren viele Blumen, sehr viele. Sie blickte mit forschenden Augen durch ihre Brille. Dann las sie unsere Gedanken und sagte unvermittelt und sehr leise und schleppend: "Die Leute sind immer irritiert, wenn sie mich das erste Mal zu Gesicht bekommen." Sie lächelte nicht.

Dieser Satz hatte natürlich nichts Arrogantes, er stimmte einfach. "Ich kann nur sehr wenige Fragen beantworten", sagte sie dann. "Ich bin nicht gesund. Überlegen Sie gut, was Sie wirklich erfahren möchten." Ihre Stimme war sehr rau, und sie musste nach Luft ringen bei jedem Wort.

Es war ein milder Sonnentag in Berkeley, ihrem kalifornischen Wohnort. Im Wohnzimmer war es dunkel und kühl und unbehaglich. Es gab sehr viele Bücher, einen Fernseher, eine Sammlung von Opernvideos und in der Ecke einen vergitterten Holzverschlag mit einem knurrenden Hund.

Für die Heldinnen und Helden ihrer Bücher schien hier kein Platz zu sein: Domaris und Deoris (Das Licht von Atlantis) vor dem TV - unmöglich: König Artus (Die Nebel von Avalon) als Coutchpotato in der Sofaecke - unvorstellbar; und Kassandra (Die Feuer von Troia) hätte in dieser Umgebung wahrscheinlich nur einen ihrer heiligen Anfälle bekommen und dann wahrheitsgemäß die hohen Auflagenzahlen der hier entstandenen Bücher prophezeit.

In denen wandeln barfüßige Priesterinnen durch stille Tempel, befragen Orakel, benutzen ihre Heilkräfte und andere magische Fähigkeiten, halten Zwiesprache mit den Göttern, verlieben sich in Halbgötter, üben sich in der Kunst der Entsagung und geben ihren Abkömmlingen eigenartige Namen. Unsterblich sind die Protagonisten dieser Geschichten fast immer - oder wenigstens unsterblich doof: Sie halten Tugenden wie Keuschheit, Reinheit und Ehrenhaftigkeit hoch und zerbrachen normalerweise daran. Ist das die Moral der Geschichten, Frau Zimmer Bradley, ist es töricht, gut zu sein?

Marion Zimmer Bradley erhob sich langsam aus ihrem Sessel und machte eine kleine Handbewegung, dass wir ihr folgen sollten. "Ich werde Ihnen etwas zeigen, was noch nie ein Fremder zu Gesicht bekommen hat." Sie stapfte voraus, die Treppe hinunter in den Garten, wo schwere Glockenblumen blühten und die Fliegen summten.

Der Eingang zum Keller lag hinter Buschwerk, aber nicht versteckt. Es war sehr muffig hier und kaum kühler als draußen. Feuchtigkeit troff von den grauen Wänden. Zwei Türen führten vom Waschkeller aus in andere Räume. Eine stand halb offen, dahinter ein Badezimmer, das seit Urzeiten nicht mehr benutzt worden war, ein schimmeliger Badeofen, ein kaputtes Fahrrad, Spinnweben. Die andere Tür war verschlossen.

Marion Zimmer Bradley öffnete sie und machte drinnen Licht. Ein kleiner hellgrün gestrichener Raum, ein winziges Fenster mit Blick ins Dunkel, denn der Raum lag größtenteils unterhalb der Grasnabe und noch dazu zur Nordseite hin. Vor dem unsinnigen Fenster ein großer Textcomputer mit Drucker. Ihr Arbeitszimmer. "Ich brauche das Tageslicht nicht mehr so sehr", sagte Marion Zimmer Bradley und lächelte. "Als die Kinder klein waren, habe ich mir angewöhnt, jeden Morgen um halb vier Uhr aufzustehen. Dann habe ich ein paar Stunden geschrieben. Es war die einzige ruhige Zeit des Tages.

Marion Zimmer Bradley stand tausende von Morgen in der Dunkelheit auf und schrieb. Sie schrieb zweitausend Morgen lang, bis ihr erster Roman von einem Verlag angenommen wurde, mehr als zehntausend Morgen, bis mit 45 plötzlich der Erfolg kam. Mit 19 Jahren hatte sie den fast 50-jährigen Robert Bradley geheiratet, einen Eisenbahner, der ihre literarischen Flausen für Unfug hielt und ihr riet, lieber mit einer anständigen Arbeit Geld zu verdienen. Aber sie schrieb weiter. Sie bekam ein Kind, ließ sich scheiden, adoptierte ein Kind, heiratete wieder, bekam zwei Kinder, trennte sich wieder, studierte zwischendurch und machte ihren Magister und nahm mehrere Pflegekinder an. Und schrieb immer weiter.

Wenn sie Gemüse putzte oder staubsaugte, wenn sie einkaufen musste für ihren großen Haushalt oder kochte für die zahlreichen Kinder, bastelte sie in Gedanken an ihren Geschichten und schuf eine andere Welt. Eine, in der meist wunderschöne Frauen das Sagen hatten, in der die Natur im Mittelpunkt stand, technischer Fortschritt nur Unglück brachte und ab und an ein Wunder geschah. Und dann geschah ein Wunder.

Die New-Age-Generation der späten siebziger und der achtziger Jahre brauchte Lesestoff für die Abende mit Tee und Räucherstäbchen und für die Nächte mit Koks und Kola. Was die kalifornische Hausfrau schrieb, waren unverfängliche Geschichten in leicht lesbarer Sprache mit jeder Menge Heldinnen zum Identifizieren und Helden zum Träumen. Spannende Abenteuer, ein bisschen Geschichte und sogar ein wenig Erotik. Stoff, der süchtig machte.

Eskapismus nennen Soziologen das Phänomen. Eskapismus ist, wenn Lehrerinnen ihre freien Nachmittage mit Schmökern verplempern. Hausfrauen Seiten fressen, bis der Ehemann nach Hause kommt, und Teenager vergessen, fürs Leben zu lernen.

"Vierzig oder fünfzig" Bücher hat die heute 58-jährige Autorin bisher verfasst, etwa fünfzehn davon verkaufen sich mit außerordentlichem Erfolg und wurden in ein Dutzend Sprachen übersetzt. Ihr neuestes Werk, eine Nacherzählung des Trojanischen Krieges aus der Sicht einer Frau, geistert seit Monaten auf den Bestsellerlisten auf und ab (Die Feuer von Troia), Krüger, 700 Seiten, 48 Mark).

Nur verfilmen kann man die Werke angeblich nicht. "Vielleicht wird das eines Tages versucht", sagte Marion Zimmer Bradley mit Unwillen in der Stimme, "aber wozu soll das gut sein? Meine Bücher leben von der Vorstellungskraft des Lesers."

In ihrem Garten sagte sie am Ende unserer Begegnung: "Ich möchte manchmal ein Kind sein." Und dann erzählte sie von ihrer Angewohnheit, beim Fernsehen ihre Lieblingspuppen im Arm zu halten und mit den Teddys ihre Gedanken auszutauschen.

Angefangen hat das vor zwei Jahren, als sie nach einer Herzattacke ein Jahr lang das Bett hüten musste, einsam war, keine Kraft zum Schreiben hatte und nachts nicht schlafen konnte. Da gab sie allen stummen Plüsch- und Plastikwesen Namen. Und Fritz und James, Susan und Melody, der Kuschelhund Belinda und die hässliche selbst gemachte Stoffpuppe Samantha erzählten ihrer schon ergrauten Puppenmutter Geschichten und Märchen und munterten sie etwas auf.

Marion Zimmer Bradley musste plötzlich lachen, als sie das Leben mit ihren Puppen schilderte. "Man darf nicht alles so ernst nehmen", sagte sie dann. "Sich selbst auch nicht." Dann stellte sie fest, nun müde zu sein, und ging ohne ein weiteres Wort mit kleinen langsamen Schritten durch den Sommergarten zurück ins Haus.

Copyright: Hilke Rosenboom
(Nachdruck, Übernahme und Vervielfältigung, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Autorin.)


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