Leseprobe aus Hilke Rosenbooms: Fräulein Bauer, Tomtom und wie die Liebe kam


EINS

An einem Abend im Mai regnete es plötzlich. Es fing gerade in dem Moment an, als Fräulein Bauer aus der Haustür trat. Müll runter tragen. Muss man ja. Auch wenn es draußen wie aus Kübeln schüttet. Auch wenn es drinnen gerade so gemütlich ist. Der Wind pfiff um die Hausecke. Und neben der Mülltonne pfiff er besonders laut. Fräulein Bauer versuchte sich zu beeilen. Das war gar nicht so leicht, denn sie war ein langsamer Mensch. Sehr groß und sehr dünn und sehr langsam. Als sie den Deckel der Mülltonne zurückklappte und den Beutel in die Tiefe fallen ließ, hörte sie das Geräusch. "Ammammam amm amm."

Fräulein Bauer klappte die Mülltonne noch einmal auf und wieder zu, aber das schnarrte nur. Das Schnarren war auch neu. Herr Jäger müsste das mal ölen. Herr Jäger war der Hausmeister und Ölen war seine große Leidenschaft. Schlösser, Schalter und Scharniere, Herr Jäger ölte immer alles ein. Er liebte die Stille.

"Ammam amm amm", machte es nun etwas lauter. Das Geräusch kam von unten hinten links, also von der Stelle, wo die Mülltonnen vor der großen Mauer standen. Fräulein Bauer stand da und lauschte. Der Regen fiel auf ihre langen blonden Haare, und sie dachte nach. Der Wind mochte zwar ganz ordentlich pfeifen können, aber "ammam amm amm" machte er niemals. Und der Regen rauschte nur, jedenfalls dieser hier. Er rauschte in dichten Strömen über ihr Gesicht und über die Schultern. Ihr Pullover war schon völlig nass.

"Ist da jemand?", fragte Fräulein Bauer und neigte den Kopf ein bisschen zur Seite. Der Regen lief über ihre Wange und tröpfelte in ihr linkes Ohr. "Ommomm omm."

Da sah sie das Tier. Es war ziemlich dick. Es hatte ein dichtes dunkles Fell. Und das Gesicht erinnerte Fräulein Bauer an ein Tier, das sie kannte. Das Tier kam hinter der Mülltonne hervorgekrabbelt und sah sie aus schwarzen Murmelaugen an.

"Aaaammmm!"

Nun war Fräulein Bauer zwar langsam, aber so langsam nun auch wieder nicht. "Was?", rief sie. "Sagtest du ARM? Ich soll dich auf den Arm nehmen? Also, das mach ich auf gar keinen Fall." Das Tier war strubbelig wie eine Gemüsebürste und mindestens genauso nass wie sie selbst. Wahrscheinlich auch nicht gerade frisch gebadet. "Nee", sagte Fräulein Bauer. "Du bist mir zu borstig." Aber sie setzte sich in die Hocke und schaute sich das Tier genau an. "Was bist du eigentlich? Na, ziemlich groß und schlecht gekämmt jedenfalls."

"Fiep, fiep, fiep", machte das Tier. Und das war ein sehr leises Geräusch.

"Nun fang doch nicht gleich an zu heulen", sagte Fräulein Bauer und versuchte ihrer Stimme einen freundlichen Tonfall zu geben. "Reg dich nicht auf."

"Hmm", sagte das Tier.

Fräulein Bauer seufzte. Das dauerte eine kleine Weile, aber als sie zu Ende geseufzt hatte, streckte sie die Arme aus und nahm das Tier vom Boden hoch. Es war wirklich sehr dick und sehr schwer. Es drückte sich mit seinem nassen Zottelfell an den nassen Pullover von Fräulein Bauer und keckerte. "Nur für einen winzigen Moment", sagte Fräulein Bauer. "Glaub ja nicht, dass du es dir bei mir gemütlich machen kannst."

Das Tier fing sofort wieder an zu fiepen. Der Regen rauschte kalt vom Himmel. Und oben in der Wohnung war es warm und ruhig.

"In Ordnung", sagte Fräulein Bauer. "Ich lade dich zum Abendessen ein. Aber danach musst du wieder verschwinden."

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