Friedrich Nietzsche - Lyrik


Nietzsche war einer der größten Lyriker in der deutschen Sprache. Ihm gelangen so vollendete Gedichte wie diese:

Was ist dieser Mensch?
Ein Knäuel wilder Schlangen, welche selten beieinander Ruhe haben ,
da gehen sie für sich fort und suchen Beute in der Welt.


Venedig
An der Brücke stand,
jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
Goldner Tropfen quoll's
Über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik -
Trunken schwamm's in die Dämmerung hinaus....
Meine Seele ein Saitenspiel,
sang sich, unsichtbar berührt,
heimlich ein Godellied dazu,
zitternd von bunter Seligkeit.
Hörte jemand ihr zu?.....


An Goethe
Das Unvergängliche
Ist nur dein Gleichnis!
Gott, der Verfängliche,
ist Dichter - Erschleichnis

Welt - Rad, das rollende,
Streift Ziel auf Ziel:
Not - nennt's - Spiel....

Welt - Spiel, das herrische,
Mischt Sein und Schein: -
Das Ewig - Närrische
Mischt uns hinein!...


Diesen ungewissen Seelen

Diesen ungewissen Seelen
Bin ich grimmig gram.
All ihr Ehren ist ein Quälen,
All ihr Lob ist Selbstverdruß und Scham.

Daß ich nicht an ihrem Stricke
Ziehe durch die Zeit,
Dafür grüßt mich ihrer Blicke
Giftig - süßer hoffnungsloser Neid.

Möchten sie mir herzhaft fluchen
Und die Nase drehn!
Dieser Augen hilflos Suchen
Soll bei mir auf ewig irregehn.


Nach neuen Meeren

Dorthin - will ich; und ich traue
Mir fortan und meinem Griff.
Offen liegt das Meer; ins Blaue
Treibt mein Genueser Schiff.

Alles glänzt neu und neuer,
Mittag schläft auf Raum und Zeit -
Nur dein Auge - ungeheuer
Blickt mich's an, Unendlichkeit!


An den Mistral
Ein Tanzlied
Mistral - Wind, du Wolken-Jäger,
Trübsal - Mörder, Himmels-Feger,
Brausender, wie lieb ich dich!
Sind wir zwei nicht eines Schoßes
Erstlingsgabe, eines Loses
Vorbestimmte ewiglich?
Hier auf glatten Felsenwegen
Lauf ich tanzend dir entgegen,
Tanzend, wie du pfeifst und singst:
Der du ohne Schiff und Ruder
Als der Freiheit freister Bruder
Über wilde Meere springst.
Kaum erwacht, hört ich dein Rufen,
Stürmte zu den Felsenstufen,
Hin zur gelben Wand am Meer.
Heil! Da kamst du schon gleich hellen
Diamantnen Stromesschnellen
Sieghaft von den Bergen her.
Auf den ebnen Himmels-Tennen
Sah ich deine Rosse rennen,
Sah den Wagen, der dich trägt,
Sah die Hand dir selber zücken,
Wenn sie auf der Rosse Rücken
Blitzesgleich die Geißel schlägt, -
Sah dich aus dem Wagen springen,
Schneller dich hinabzuschwingen,
Sah dich wie zum Pfeil verkürzt
Senkrecht in die Tiefe stoßen, -
Wie ein Goldstrahl durch die Rosen
Erster Morgenröten stürzt.
Tanze nun auf tausend Rücken,
Wellen-Rücken, Wellen-Tücken -
Heil, wer neue Tänze schafft!
Tanzen wir in tausend Weisen.
Frei - sei unsre Kunst geheißen,
Fröhlich - unsre Wissenschaft!
Raffen wir von jeder Blume
Eine Blüte uns zum Ruhme
Und zwei Blätter noch zum Kranz!
Tanzen wir gleich Troubadouren
Zwischen Heiligen und Huren,
Zwischen Gott und Welt den Tanz!
Wer nicht tanzen kann mit Winden,
Wer sich wickeln muß mit Binden,
Angebunden, Krüppel - Greis,
Wer da gleicht den Heuchel-Hänsen,
Ehren-Tölpeln, Tugend-Gänsen,
Fort aus unsrem Paradies!
Wirbeln wir den Staub der Straßen
Allen Kranken in die Nasen,
Scheuchen wir die Kranken-Brut!
Lösen wir die ganze Küste
Von dem Odem dürrer Brüste,
Von den Augen ohne Mut!
Jagen wir die Himmels-Trüber,
Welten-Schwärzer, Wolken-Schieber,
Hellen wir das Himmelreich!
Brausen wir ... o aller freien
Geister Geist, mit dir zu zweien
Braust mein Glück dem Sturme gleich. -
- Und daß ewig das Gedächtnis
Solchen Glücks, nimm sein Vermächtnis,
Nimm den Kranz hier mit hinauf!
Wirf ihn höher, ferner, weiter,
Stürm empor die Himmelsleiter,
Häng ihn - an den Sternen auf!


Idyllen aus Messina
"Pia, caritatevole, amoresissima".
(Auf dem campo santo.)
O Mädchen, das dem Lamme
Das zarte Fellchen kraut,
Dem Beides, Licht und Flamme,
Aus beiden Augen schaut,
Du lieblich Ding zum Scherzen,
Du Liebling weit und nah,
So fromm, so mild von Herzen,
Amorosissima!
Was riss so früh die Kette?
Wer hat dein Herz betrübt?
Und liebtest du, wer hätte
Dich nicht genug geliebt? -
Du schweigst - doch sind die Thränen
Den milden Augen nah:
Du schwiegs

- und starbst vor Sehnen,
Amorosissima?

© Kathie Meier


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